Plasma
Chinesen nach Norden vordrangen, um die 1-70 zu erreichen. Das Oberkommando der Amerikaner befand sich mittlerweile in einem größeren, besser gesicherten Stützpunkt tief im Aspen Valley. Hernandez hatte mit der Fahrt hierher allerhand riskiert. Er hatte darauf bestanden, die überlebenden Ranger persönlich kennenzulernen, obwohl keineswegs feststand, dass sich Ruth bei dem Trupp befand. Es war eine Ausrede. Er musste die Einheiten sehen, die er nur als Nummern auf seinen Karten kannte, und das rechnete sie ihm hoch an.
Er senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Wir haben hier in den Zelten damit begonnen, den Leuten Blut abzunehmen.«
Ruth nickte. Gut. Hier befanden sich die meisten Sanitäter, zusammen mit den Namenslisten und Tabellen, die sie gerettet hatten, als sie überwältigt wurden.
»Was brauchen Sie sonst noch?«, fragte er. »Wir lagern die Proben in Kühlschränken, aber ich weiß nicht, ob wir Ihnen einen Reinraum herrichten können.«
»Verschwenden Sie keinen Kühlschrankplatz. Raumtemperatur reicht, und irgendein Arbeitsplatz wäre wunderbar. Es muss nichts Besonderes sein. Ich habe einen Großteil meiner Arbeit auf der Rückbank eines Jeeps erledigt.«
»Dann würde ich Sie gern schon morgen von hier wegbringen. Die feindlichen Flugzeuge sind praktisch überall, aber dieser Stützpunkt bekommt zu viele Artillerieangriffe ab. Mir wäre es lieber, Sie aus der Schusslinie zu haben.«
»Okay. Danke.« Ruth dachte nicht daran, ihm etwas vorzuspielen und tapfer auf den angebotenen Schutz zu verzichten.
Wieder suchte er in den Schatten nach ihren Augen. Dann stützte er eine Hand dicht neben ihrem Kopf auf die Pritsche. Die Geste wirkte beinahe aggressiv, als wollte er zur Schau stellen, dass er die Macht besaß, sie in die Enge zu treiben und zu beherrschen. »Womit habe ich es zu tun?«, fragte er.
»General …«
»Ich muss es wissen, Ruth.«
Sie zuckte zusammen. Hernandez hatte sie noch nie beim Vornamen genannt, und diese Vertraulichkeit passte auch nicht zu seinem kleinen Kraftakt. Er saß in der Falle. Er musste ihr helfen, und doch blieb er argwöhnisch, entweder wegen ihres Verrats in Sacramento oder aufgrund der ungeheuren Macht der Nanotechnologie. Wahrscheinlich spielte beides eine Rolle. Hernandez behandelte sie wie eine Hexe, mit einer Mischung aus Ehrerbietung und Misstrauen.
»Ich habe noch keine Antwort für Sie«, erwiderte Ruth. »Das ist die Wahrheit, ich schwöre es. Aber ich glaube nicht, dass der Geister-Nano eine Waffe ist. Ich denke eher, dass Leadville mit neuen Impf-Nanos experimentierte.«
»Das ist der einzige Grund für Ihre Anwesenheit?«
»Natürlich!« Sie vergaß, ihre Stimme zu dämpfen, und Deborah stieß sie schlaftrunken an. Cam war bereits wach. Sein Blick richtete sich prüfend auf Hernandez. »Was wollen Sie mit Ihrer Frage wirklich zum Ausdruck bringen?«, erkundigte sich Ruth.
»Wir haben Ihre Aufzeichnungen durchgesehen.«
»Das meiste davon ist spekulativ.« Das klang selbst in ihren Ohren nach Hinhalten.
»Ich muss mehr über diesen Sättigungsauslöser erfahren.«
Ruth starrte ihn an. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was hatten seine Leute ihren Zahlen und Kurzschrift-Aufzeichnungen entnommen? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Hernandez ein Nanotech-Spezialist zur Verfügung stand. Hatte er einfach seine Wehrtechniker oder Computerexperten gebeten, ihre Notizen zu entschlüsseln? Aufgrund seiner Helixstruktur hatte Ruth die These aufgestellt, dass der Geister-Nano zu größeren Gebilden verschmelzen könnte, wenn seine Population eine bestimmte Dichte im Plasma erreicht hatte … Aber das war bislang nicht mehr als eine vage Idee.
»Wenn Sie alles gelesen haben, wissen Sie, dass hinter diesem Gedankengang noch dicke Fragezeichen stehen«, sagte sie mit fester Stimme. »Aus diesem Grund habe ich ihn vor einigen Tagen auch aufgegeben.«
»Das sehen meine Leute aber ganz anders.«
»Dann täuschen sie sich.«
»Wovon redet er?«, wollte Cam wissen.
»Doktor Goldman hat eine Möglichkeit ins Auge gefasst, die chinesischen Truppen zu stoppen, die für alle Menschen hier in den Bergen den Tod bedeuten würde«, sagte Hernandez. »Eine Art kritische Masse.«
»Das glauben Sie doch nicht im Ernst!« Unauffällig lenkte Cam das Streitgespräch von Ruth auf sich.
»Ich glaube, dass Grand Lake alles tun würde, um den Krieg zu gewinnen«, sagte Hernandez, und endlich begriff Ruth, welche tief greifenden Veränderungen in ihm vorgegangen
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