Plasma
Deborahs anstatt Ruths Augen. Seine schmerzenden Rippen zwangen ihn, langsam zu gehen. Ruth war schon zum nächsten umgestürzten Baum weitergehumpelt. Sie tastete sich an den sperrigen Ästen vorbei.
So verhielt sie sich, seit Hernandez nicht mehr bei ihnen war.
»Sie müssen versuchen, auf sie einzuwirken«, beschwor er Deborah, aber die hochgewachsene Blondine zuckte nur gleichgültig die Achseln.
»Ich denke, sie hat recht. Wir müssen sehen, dass wir vorankommen.«
Cam hob die Stimme. »Und wenn sie sich ein Bein bricht?«
Plötzlich hielt Ruth vor ihnen an. Cam suchte nach der Ursache. Vierzig Meter weiter oben war Estey stehen geblieben. Er hob die Hand und winkte über Schlamm, Wasser und verkrüppelte Bäume hinweg. Ein Stück vor ihm warteten Goodrich und Ballard. Die drei Soldaten boten ein Bild der Stärke, als sie so aufrecht inmitten der Verwüstung standen.
Cam winkte zurück. Dann wandte er sich an Ruth. »Es ist doch bodenloser Leichtsinn, dass du so vorausläufst. Wir müssen bei den anderen bleiben.«
Aber das war es nicht, was sie gestoppt hatte. Sie war auf einen Vogel gestoßen. »Oh«, sagte Deborah leise, als Ruth niederkniete, um das armselige Geschöpf aufzuheben.
Der Fink befand sich bestimmt erst seit Kurzem in der Pestzone, denn er lebte noch. Allerdings waren ihm die Brust- und Bauchfedern ausgefallen. Er zappelte im zähen Morast, konnte sich aber nicht befreien. Seine Flügel hingen entkräftet nach unten, und er schien blind zu sein. Zumindest hatten seine Augen einen milchigweißen Schimmer, wie ihn Cam noch nie zuvor bei einem Vogel gesehen hatte.
»Hier entlang!«, schrie Estey, und Cam winkte wieder, obwohl er nicht sicher war, dass Ruth der Anordnung Folge leisten würde. Sie zögerte. Ihre Handschuhe umschlossen den winzigen Körper. Vermutlich hatte sie die aufgeblähten Streifenhörnchen nicht gesehen, an denen sie vor einer Viertelstunde vorbeigekommen waren – zwei kleine Kadaver, von den Schmelzwasserfluten den Hang herabgespült. Andernfalls hätte sie bestimmt auch ihretwegen angehalten. Ihr ungeduldiges Vorwärtsdrängen war ihm dann schon lieber.
Ruth nahm keine Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit, wenn sie ihre manische Phase hatte, aber sie war dann auch eine Gefahr für alles, was sich ihr in den Weg stellte. Sie konnten es sich nicht leisten, dass sie ausfiel. Noch einmal mussten sie ihre Kompetenz in die richtigen Bahnen lenken – und sie waren weiterhin eine Stunde vom vereinbarten Treffpunkt entfernt. Cam betete, dass sie bis dahin durchhielt.
»Schau ihn dir an«, sagte sie. Sie meinte den Vogel.
»Wir müssen weiter«, mahnte Cam, und Deborah fügte hinzu: »Ruth, die Sonne steigt höher.«
»Klar.« Sie rührte sich immer noch nicht von der Stelle. »Klar, ihr habt recht. Es ist nur ein dämlicher kleiner Vogel.« Ruth stand auf und schob sich an ihnen vorbei. Ihre von schmutzigen Handschuhen geschützten Finger zitterten.
Sie gingen zu Fuß, weil Hernandez zurück zu seinem Stützpunkt am Sylvan Mountain gefahren war, einerseits, um alles Notwendige zu organisieren, andererseits als Köder für die Feindsatelliten. Seine Armeelaster, die obendrein in Richtung Front unterwegs waren, zogen die Aufmerksamkeit vermutlich stärker auf sich als eine Handvoll Leute am Berghang. Falls ein Angriff erfolgte, wollte Hernandez das Feuer auf sich ziehen. So verschaffte er ihnen mehr Zeit. Ein Helikopter sollte Ruth wieder nach Norden bringen, aber es wäre zu riskant gewesen, sie in der Nähe des Stützpunkts aufzunehmen. Die Eindringlinge hatten sich mittlerweile Luftüberlegenheit erkämpft. Die Helikopter waren in jedem Fall gefährdet, aber Hernandez beabsichtigte eine massive Gegenoffensive, um die Chinesen zurückzuwerfen. Ein Ablenkmanöver.
Tun Sie einfach Ihr Bestes, hatte Hernandez gesagt, als sich Ruth über seinen Innenarm beugte und mit einer Nadel in die Vene stach, um sie gleich darauf tief in ihr eigenes Handgelenk zu versenken. Das war es, was sie so fertigmachte. Hernandez rechnete nicht damit, den Erfolg ihrer Arbeit zu erleben. Cam hegte den Verdacht, dass der General seine am schlimmsten verstrahlten Soldaten bitten würde, ihn bei seinem geplanten Sturmangriff zu unterstützen. Und er glaubte, dass sich keiner der Männer und Frauen weigern würde, diese Bitte zu erfüllen.
Das Schlimmste, was Ruth passieren konnte, waren ein paar Schrammen oder ein verstauchter Knöchel, und so wie sie sich durch Gestrüpp und Schlamm kämpfte,
Weitere Kostenlose Bücher