Plasma

Titel: Plasma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Carlson

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richtig krank sind?«
    Er hatte, wie sie wusste, eine Ausbildung als Rettungsassistent absolviert. Sie nickte. »Ja.«
    »Also hatten manche Gruppen einfach Pech. Die Leute sind geschwächt und leiden unter der Kälte. Das macht sie zu einer leichten Beute für Viren und Bakterien.« Cam zögerte einen Moment und setzte dann hinzu: »Es ist nicht Ihre Schuld. Das wissen Sie ganz genau.«
    »Sie meinen, manche Krankheiten könnten sich angepasst haben.« Ruth griff diesen Teil seiner Aussage auf, weil sie nicht wusste, was sie auf den Rest antworten sollte. »Ja. Wir müssen vorsichtiger sein. Es könnte Inseln geben, die ... Ansteckungsherde sind, obwohl ihre Bewohner inzwischen eine Immunität gegen bestimmte Krankheiten entwickelt haben. Eine Immunität, die wir nicht besitzen.«
    »Wie lässt sich so etwas überprüfen?«
    »Ich weiß nicht.« In manchen Siedlungen würde es außerdem von Ratten und Flöhen wimmeln, sowie von Schädlingen, die überall sonst ausgestorben waren, weil sie keine Wirte mehr fanden. »Wenn wir auf Leute stoßen, die erkennbar krank sind, müssen wir uns vielleicht zurückziehen ... Und sie ihrem Schicksal überlassen.« Ruth fuhr mit dem Daumen über die in den Stein eingeritzten Kreuze. Stummes Entsetzen wirbelte ihre Gedanken im Kreis herum.
    Es gab noch eine Bedrohung, auf die sie in diesen isolierten Gemeinschaften mit Sicherheit stoßen würden. Irrsinn und geistige Verwirrung konnten ihnen noch gefährlicher werden als Krankheiten. Als sie sich an Bord der ISS befunden hatte, hatte Gustavo von Glaubensfanatikern in Mexiko, Argentinien, Mikronesien und den Alpen berichtet. Überall hatten sich Heilsverkünder aus der Apokalypse erhoben.
    Ruth hatte nie viel mit Gott anzufangen gewusst. Viele Menschen zitierten die Mysterien der Religion und wiesen auf die tiefe Weisheit der Glaubenslehren hin, verschlossen sich aber in Wahrheit der Komplexität des Planeten und erst recht der überwältigenden Unergründlichkeit des Universums. Das ganze Konzept war lachhaft. Welcher wahnwitzige Gott würde sich die Mühe machen, Milliarden von Galaxien zu erschaffen, wenn Er die Erde zum Brennpunkt Seiner Energien auserwählt hatte ?
    Es war ein sehr menschlicher Gedanke. Die Leute waren faul. Außerdem waren sie egozentrisch. Ruth verstand, dass sie sich eine kleine Welt mit festen Regeln wünschten. Eine Welt, in der es keine Unwägbarkeiten gab. Ungewissheit lotete die Grenzen der menschlichen Neugier und Intelligenz aus. Der alte Affe hatte den modernen Menschen immer noch in seinem Griff. Der Affe besaß wenig Geduld. Also sträubten sich die Menschen gegen den Lauf der Zeit und ihre Veränderungen. Sie entwickelten Argumentationen, die beweisen sollten, dass sie der Nabel der Welt waren, und wehrten sich dagegen, in den Schulen »intelligente Planung« anstatt Biologie und Naturwissenschaften zu lehren. Unsinn. Groß gewachsene Eltern hatten meist groß gewachsene Kinder. Klein gewachsene Eltern hatten meist klein gewachsene Kinder. Dagegen konnte von Identität nicht die Rede sein. Es war so leicht zu sehen – Evolution in einer einzigen Generation. Andernfalls hätte die Menschheit im Lauf ihrer Geschichte nichts als perfekte Klone hervorgebracht. Die Vorstellung, dass sich das Leben nicht veränderte, war absurd. Bakterien entwickelten eine Resistenz gegen Medikamente. Hunde konnten, wie der Terrier ihres Stiefvaters, zu lächerlich spezialisierten Rassen gezüchtet werden. Selbst Religionen hatten sich im Lauf der Zeit verändert; manche hatten sich geöffnet, andere umso mehr gegen die Außenwelt abgeschirmt.
    Es gab vernünftige Antworten, wenn man die Wahrheit suchte. Die Welt war erschließbar. Das hatte sie erkannt, aber die Folgerungen aus dieser Erkenntnis waren hart. Viel lieber hätte sie eine Hand gespürt, die sie führte – aber warum sie und nicht die Leute, die auf diesem Berggipfel gestorben waren ? Etwa weil sie schlecht gewesen waren ?
    Ruth umklammerte wieder den Kiesel, während sich in ihrem Innern langsam ein verbissener Zorn ausbreitete. Der Stein hatte eine tiefere Bedeutung für sie. Sie würde nicht aufgeben. Sie würde nicht aufgeben, obwohl ihre Füße wund gescheuert waren und ihr Arm in der Schlinge pochte.
    »Hey!«, rief Newcombe. Er stand auf einem freien Granithang etwa fünfzig Meter unter ihnen und schwenkte beide Arme.
    Im ersten Augenblick dachte Ruth, seine Gesten seien eine Warnung, dass sie nicht näher kommen sollten. Noch mehr Tote ? Dann