Plasma
Russland zu zementieren hatten.
Zu viele, erklärte Kendricks. Mehr als hundert können wir nicht unterbringen.
Tausend, schacherten die Russen. Dann machten sie den Amerikanern den Deal mit einem besonderen Angebot schmackhaft: Leadville sollte zusätzlich den Staatsschatz sowie die kostbarsten Stücke der russischen Museen in seine Obhut nehmen. Ulinow war nicht weiter erstaunt, dass die Amerikaner – Kapitalisten bis zum bitteren Ende – diesen Vorschlag begeistert aufnahmen, auch wenn die historischen Zarenkronen und Gemälde niemanden ernähren oder schützen konnten. Aber für manche Leute würden diese Kunstschätze in ihrem Wert jetzt noch steigen.
Um genügend Platz für die Wertsachen zu schaffen, drückten die Amerikaner die Zahl der Passagiere schließlich auf fünfzig – fünfzig Menschenleben plus Tonnen von kaltem Metall und Klunkern. Die Russen waren natürlich eher Geiseln als Gerettete. Es galt als stillschweigende Übereinkunft, dass Leadville ihr Schicksal voll und ganz in der Hand hatte. Bei den fünfzig Auserwählten handelte es sich um die Frauen und Kinder von hochrangigen Politikern, Generälen und einem berühmten Komponisten. Der Austausch sollte ein Neuanfang sein, eine gegenseitige Geste des Vertrauens. Die Russen übergaben ihre Familien und ihren Reichtum als Unterpfand. Dafür versprachen die Amerikaner, weiteren fünfhundert Flüchtlingen Schutz in Leadville zu gewähren, wenn die amerikanischen Flugzeuge die russischen Überlebenden nach Indien ausgeflogen hatten.
Das ist ein äußerst großzügiges Angebot, sagte Kendricks, aber den Russen reichte eine Maschine, die den Abwehrriegel um Leadville überwand. Eine einzige Maschine.
Sie dröhnte über der Stadt. Die Sonne spiegelte sich auf dem stumpfnasigen schwarzen Rumpf. Ulinow versuchte sich zu beruhigen. Er schloss die Augen, als könnte er damit den Lärm und das Gezerre der Sicherheitskräfte ausblenden. So wollte er nicht sterben, angebrüllt von Kendricks und umgeben von Gewehrfeuer.
»Wir lassen Ihre gottverdammten Landsleute allesamt verrecken, Ulinow!«, zeterte Kendricks, während seine Leute die Türen des GMC aufrissen. »Ist das klar, Mann? Sie haben Ihre einzige Chance versiebt!«
»Sir!«, unterbrach ihn der Sicherheitschef und zog Kendricks auf die andere Seite der hohen silbernen Motorhaube.
Jetzt erst kam Ulinow der Gedanke, dass er sich – bittere Ironie des Schicksals – diese Entwicklung vermutlich selbst zuzuschreiben hatte, weil er so erschreckende Zahlen in die Heimat gefunkt hatte, ob es sich nun um Kampfflugzeuge oder den Aufbau der Panzerreserven handelte. Seine Landsleute mussten zu dem Schluss gekommen sein, dass es nur eine Möglichkeit gab, sich gegen die Überlegenheit von Leadville zu behaupten.
Die Amerikaner hatten die Schätze ganz sicher durchleuchtet, ehe man sie an Bord brachte, um sie auf die andere Seite des Planeten zu verfrachten. Irgendwie war das aber nicht genug gewesen. Entweder hatten die Russen die eine oder andere Kiste kurz vor dem Start ausgetauscht oder mit dichtem Billigsilber ausgekleidet, das den Röntgen- und Infrarotgeräten Kostbarkeiten aus der Zarenzeit vortäuschte. Die amerikanischen Streitkräfte hatten sich in Reichweite von Moslem-Raketen und Infanterie-Sprengladungen wohl unbehaglich gefühlt und zur Eile gedrängt. Und natürlich hatten sie all das Geld und Gold an Bord. Außerdem hatten sie die Angehörigen der russischen Elite bei sich. Beglaubigte Urkunden und Fingerabdrücke bestätigten die Identität jedes einzelnen Passagiers.
Ulinow zweifelte nicht daran, dass die Ausweise stimmten. Es waren nur fünfzig Menschenleben – Großmütter, Cousins, Ehefrauen. Und doch hatte er einen Fehler in den Dutzenden von hin und her geschickten Unterlagen entdeckt, einen einzigen Namen, der nie wieder erwähnt wurde, nachdem er auf einer einzelnen Urkunde aufgetaucht war, zweifellos eingetragen von einem Schreiber, der nicht ahnte, was da Stempel und Siegel erhielt.
Kuzkas Mutter.
Der Name an sich war nicht ungewöhnlich, und die ersten Verzeichnisse waren voll mit solchen Auflistungen, die die Familienbande der zur Rettung Vorgeschlagenen betonten. Ministerin Starkowas Tante und Sohn. Direktor Molatschoffs Bruder. Aber die Worte Kuzkas Mutter waren auch Teil eines russischen Idioms, das so viel wie »bestrafen« hieß. Mehr noch, auf der Höhe des Kalten Krieges hatte der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow den Begriff in einer Rede vor der
Weitere Kostenlose Bücher