Plasma
Innenseite mit körnigem Sand bedeckt. Cam streifte den Riemen von ihrer Kapuze. Dann zog er die Handschuhe aus und wischte die Schmutzschicht mit seinen verkrüppelten, aber sauberen Händen von ihren Wangen. Er genoss den Augenblick der Nähe. Ruth war offensichtlich benommen, aber er merkte, dass ihr sein Beistand half, sich wieder zurechtzufinden. Ihre braunen Augen richteten sich auf ihn, und sie versuchte zu lächeln.
Dann wanderte ihr Blick zu Newcombe. »Was war das?«
»Die Druckwelle«, entgegnete Newcombe keuchend. Er schüttelte den Staub von seiner Kapuze. »Mein Gott, ich dachte nicht, dass sie bis hierher reichen würde.«
»Sie meinen, von der Bombe in Colorado? Ich ...«
»Wie viel und welche Strahlung haben wir erwischt?«, warf Cam plötzlich ein. Newcombe wirkte zu ruhig. Der Soldat schien nicht an die Detonation einer zweite Bombe zu glauben. Sein Verhalten setzte eine Flut von Gefühlen frei, die Cam bis jetzt unterdrückt hatte. Er nahm die Hände von Ruths Gesicht und presste sie an den eigenen Körper, um sein Zittern zu verbergen. Zaghaft brach sich der Gedanke Bahn, dass es vielleicht doch nicht notwendig sein würde, erst sie und anschließend auch sich selbst zu erschießen, ehe das Erbrechen und die Schmerzen unerträglich wurden.
Es gab keine zweite Bombe, dachte er. Es gab keine ...
»Das ist kein Fallout von einem zweiten Atomschlag«, sagte Newcombe und streckte ihnen einen braun verkrusteten Handschuh entgegen. »Das war in erster Linie erhitzte Luft. Von der ersten Bombe. Es hat lange gedauert, bis sie hier ankam. Die Strahlung dürfte nicht höher sein als die UV-Dosis, die wir täglich aufnehmen. Nicht genug jedenfalls, um uns umzubringen – wenn es das ist, was Ihnen Sorgen macht. Nicht bei dieser Entfernung.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Achtundfünfzig Minuten. Mein Gott, diese Bombe muss gigantisch gewesen sein.«
»Sie sind immer noch überzeugt, dass sie in Leadville detoniert ist?«, fragte Ruth. Sie hatte begonnen, den Sand aus ihrer Kleidung zu bürsten, und Cam nutzte das als Vorwand, um sich von ihr abzuwenden. Er zitterte jetzt stärker, und er wollte nicht, dass sie in seinen Augen las, was er dachte.
Wir werden überleben. Die Erkenntnis rührte ihn fast zu Tränen. Er hatte geglaubt, es gäbe für ihn kaum noch etwas zu verlieren, aber er war noch ein gutes Stück davon entfernt, einen Schlussstrich zu ziehen.
Sie gönnten sich eine halbe Stunde Erholung. Cam führte sie von den Schlangenkuhlen weg auf eine Felsplatte, wo sie sich säuberten, etwas tranken und ihre Brillen putzten. Newcombe versuchte noch einmal, eine Funkverbindung herzustellen. Er machte sich eine Menge Notizen. Bis auf ein kurzes, schwaches Beben blieb es still im Wald. Die Insekten schien die Druckwelle platt gewalzt zu haben. Das zumindest war ein Segen.
»Sie haben gesehen, was sich am Himmel abspielte«, sagte Newcombe.
Ruth nickte, aber Cams Gedanken waren noch weit entfernt. Er spähte während des Gesprächs durch die Baumwipfel und betrachtete die eigentümliche Schönheit der braunen Staubschleier, die der Wind ausbreitete. Sie verdunkelten die Sonne und den gezackten Horizont im Osten.
»Das Beben kam zuerst, weil sich Schwingungen durch Feststoffe ziemlich rasch fortpflanzen«, erklärte Newcombe. »Bei der Luft ist das anders.«
»Der Wind«, warf Ruth ein.
»Der würde im Nahbereich keinen Unterschied machen.«
»Das nicht. Aber für den Fallout spielt er eine Rolle.«
»Ich weiß nicht.«
»Der Wind treibt den Fallout von uns weg, insbesondere die Partikel oben in der Atmosphäre.«
Alles hing davon ab, dass sie recht hatte. Aber Cam sprach den Gedanken nicht aus. Er machte sich zusätzlich Sorgen wegen der Pest. Wenn sich die Druckwelle tatsächlich über siebenhundert Meilen ausgebreitet hatte, musste sie eine wahre Flut von Nanos mitgerissen haben. Viele der subatomaren Maschinen hatte der Sturm vermutlich in große Höhen gewirbelt, wo sie sich selbst zerstörten. Cam aber ging davon aus, dass sich mindestens ebenso viele Nanobots an der Sierra abgelagert hatten, die wie ein Wall hinter den großen Beckenlandschaften von Utah und Nevada aufragte.
Er hatte es nicht eilig, den Weg fortzusetzen. Wenn sie mit dem Staub zu viele Pest-Nanos aufgenommen hatten, würden sie in einer oder zwei Stunden vor Schmerzen schreien. Aber von hier aus konnten sie wenigstens zurück nach Westen in die Höhenlagen flüchten.
Seine Schreckensvisionen erfüllten sich
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