Plasma

nicht. Ausnahmsweise stand das Glück auf ihrer Seite. Cam vermutete, dass sie sich immer noch nahe genug an der Todesbarriere befanden. Und es hatte mit Sicherheit starke Schwankungen innerhalb der Druckwelle gegeben. Vielleicht hatte die Bombe sogar eine breite Schneise der Zerstörung durch die allgegenwärtigen Nanos geschlagen – als eine Art Nebenwirkung.
    Sie erhoben sich und marschierten weiter. Sie marschierten, und nach einer weiteren Meile begann Ruth zu humpeln. Ihr rechter Fuß schmerzte. Allmählich mehrten sich die Anzeichen, dass die Druckwelle unten im Tal keinen allzu großen Schaden angerichtet hatte. Die gegenüberliegenden Berge schienen den Wind abgelenkt und das Tiefland geschützt zu haben. In den Bäumen hing wenig Staub, und auch die übliche Streu auf dem Waldboden war nicht weggefegt, sondern nur zu geriffelten Dünen zusammengeschoben.
    In einem Wäldchen mit alpinen Hemlocktannen fielen noch lebende Ameisen wie Asche aus den Zweigen. An einer anderen Stelle fand Cam eine gelbe Seite aus einem Telefonbuch, nichts außer einer einzelnen Seite, angeweht von Gott weiß woher. Dann wateten sie durch Müll, der sich in einem hundert Meter breiten Streifen zwischen den Bäumen angesammelt hatte und hauptsächlich aus Plastiktüten und Zellophan bestand. Das Zeug lag erst seit Kurzem da. Der Wind zerrte Teile davon frei, und eine Weile flatterte eine Tüte neben Cam her.
    Die Druckwelle musste die seltsamsten Deponien aufgelöst und quer durch Nordamerika geschleudert haben. Cam kam der Gedanke, dass möglicherweise auch die Ameisen in den Bäumen nicht zu einer heimischen Art gehörten, sondern zu einer Spezies, die der Sturm irgendwo in der Wüste hochgewirbelt und Hunderte von Meilen mitgerissen hatte.
    In der Gegenrichtung war vermutlich alles noch schlimmer. Die vorherrschende Ostströmung würde den Staub, den Müll und die Insekten größtenteils in einem großen Bogen zum Zentrum der Explosion zurücklenken. Wo der Fallout nicht alles Leben vernichtete, würden die Ameisen und Heuschrecken einen neuen und immer brutaleren Kampf um die Vorherrschaft beginnen.
    Es hatte wenig Sinn, sich über solche Einzelheiten den Kopf zu zerbrechen. Cam war es mittlerweile gewohnt, Probleme wegzuschieben. Was sich nie länger als ein paar Minuten verdrängen ließ, waren die Schmerzen in den Füßen, im Knie und in der Hüfte, in der Hand und im Nacken – oder seine Sorge um Ruth. Sie marschierten aber weiter. Sie marschierten weiter und kamen auf eine sonnenhelle Wiese, wo die höheren Gräser in Bögen flach gedrückt waren, die an Kornkreise erinnerten. Cam geriet erneut in Panik, als seine linke Hand plötzlich zu pochen begann. Doch nach ein paar Minuten schienen die Impf-Nanos die Pest zu besiegen. Ruth und Newcombe hatten nichts erwischt. Eine Zufallsinfektion, mehr nicht.
    Sie erklommen eine gute Meile des nächsten Berghangs und fielen in einen totenähnlichen Schlaf. Newcombe war so erschöpft, dass er während seiner Wachschicht einnickte. Cam konnte sich nicht entsinnen, dass so etwas schon einmal vorgekommen war. Er schlug die Augen auf und sah über sich den schwarzen, mit Sternen übersäten Himmel. Das Aspirin wirkte nicht mehr. Er war dehydriert und fror. Wahrscheinlich hatte sein Unterbewusstsein dagegen rebelliert, dass neben ihm zwei Personen tief und gleichmäßig atmeten, obwohl es nur eine hätte sein dürfen.
    Sie hatten sich aus Angst vor einem weiteren Atomschlag in die enge Spalte eines Granithügels gepresst. Cam stieß eine leere Konservendose und eine volle Feldflasche um, als er sich aufsetzte. Verdammt, dachte er.
    Ihr Trinkwasser wurde gefährlich knapp. Unterwegs hatten sie einen Teich gesehen, in dem es allerdings von Insekten wimmelte. Auch ihre Essensvorräte neigten sich dem Ende zu. Ihre Grundbedürfnisse mussten befriedigt werden. Cam runzelte in der Dunkelheit die Stirn und überschlug im Geist, wie weit es noch bis zur Barriere sein mochte. Bei Tagesanbruch würde er nach einem Gebirgsbach suchen, während die beiden anderen aßen und packten und Newcombe noch einmal Ruths Füße versorgte. Sie musste die Socken wechseln und die Sohlen mit der letzten Heilsalbe einreiben, wenn sich wieder Blasen gebildet hatten. Er schätzte, dass sie den Gipfel noch vor Sonnenuntergang erreichen würden, selbst wenn sie einen kurzen Mittagsschlaf einlegten.
    Aber mit der Morgendämmerung kamen Flugzeuge. Cam, der in seinem Schlafsack döste, hielt die Geräusche für einen