Plastikfreie Zone
Einleitung auf die Bühne ruft, bin ich zwar ein wenig nervös, aber gleichzeitig heilfroh, dass das Warten beendet ist. Immerhin habe ich die Zeit genutzt, wichtige Eckpunkte unseres Experiments noch einmal zu überdenken und mir Argumente zurechtzulegen. Während die Fragen hinsichtlich des Films sich hauptsächlich um weitergehende Informationen und mögliche Repressionen seitens der Plastikindustrie drehen, erwartet man von mir in erster Linie ganz konkrete Tipps für den täglichen Einkauf. Und manche sind bloß froh, ein Forum zu haben, um ihrer eigenen, ganz persönlichen Sichtweise öffentlich Gehör zu verschaffen.
Ein Mann etwa ereifert sich besonders und versucht mich darüber aufzuklären, dass diese ganze Hysterie um Plastik völliger Blödsinn sei, da ohnehin alles recycelt und zum Beispiel für so nützliche Dinge wie Autostoßstangen wiederverwendet würde. Sein Tonfall verrät eine gewisse Streitlust, doch zum Glück habe ich noch einige Zahlen zum Thema Wiederverwertung parat.
Von den Milliarden Plastiktüten und -taschen, die weltweit pro Jahr verbraucht werden, wird nur ungefähr ein Prozent recycelt. Noch viel seltener passiert es, dass ein Material für den gleichen Zweck wie vorher Verwendung findet. Angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Kunststoffe ist das nämlich nur sehr selten möglich, und so wird das Material bei jedem Wiederverwertungsdurchgang minderwertiger, oder neue Rohstoffe müssen zugesetzt werden – man spricht dann von einem sogenannten »Downcycling«. Die Dame vom Abfallwirtschaftsverband, die sich ebenfalls an der Diskussion beteiligt, nickt zustimmend, betont allerdings, dass das getrennte Sammeln von Kunststoffen dennoch auf jeden Fall sinnvoll sei.
Der Skeptiker, der alles für übertrieben hält, schweigt, was mir erneut beweist, wie schnell viele Menschen sich von ein paar Zahlen, die den Anschein von Wissenschaftlichkeit suggerieren, beeindrucken lassen. Er wirft mir zwar einen letzten misstrauischen Blick zu, scheint an weiteren Diskussionen jedoch nicht interessiert und verlässt bei der nächsten Wortmeldung den Saal. Für mich ein deutliches Zeichen, dass es weder dem Film noch mir gelungen ist, bei ihm einen emotionalen und persönlichen Bezug zum Thema herzustellen. Zum Glück wirken die meisten anderen Anwesenden betroffen und interessiert.
Allerdings gehen manche ihrer Fragen in eine Richtung, in die ich bislang nie gedacht habe, etwa was unser Experiment für Kinder bedeutet. Wobei viele vorauszusetzen scheinen, dass die »armen« Kinder darunter zu leiden haben.
Ein Beispiel: Da fragt der besorgte Vater einer zwölfjährigen Tochter, wie um alles in der Welt er denn diverse Softdrinks plastikfrei für sein Kind bekommen solle? Wohlgemerkt handelte es sich um eine ernst gemeinte Frage, die aus ehrlicher Ratlosigkeit resultierte.
Weil ich darauf keine Antwort weiß, entscheide ich mich für die schonungslose Wahrheit: »Unsere Kinder trinken so was normalerweise nicht, zumindest nicht zu Hause. Wenn sie es täten, wäre ich wahrscheinlich genauso ratlos wie Sie, denn ich glaube, dass es solche Getränke mittlerweile wirklich fast ausschließlich in Plastikflaschen gibt.«
»Ja, aber die jungen Leute wollen das doch. Die fühlen sich als Außenseiter, wenn sie da nicht mitmachen dürfen.«
Die Hartnäckigkeit, mit der dieser Vater seine Besorgnis vorbringt, imponiert mir einerseits – andererseits finde ich es ein bisschen komisch, dass man angeblich Getränke braucht, um seinen sozialen Status zu demonstrieren. Trinkt man nicht, um seinen Durst zu stillen? Nun ja, da sollte ich lieber vorsichtig sein, denn rechtzeitig fällt mir mein abendliches Glas Rotwein ein, das ja auch nicht gerade als Durstlöscher durchgeht.
Also versuche ich dem Mann klarzumachen, dass ich tatsächlich noch nie auf die Idee gekommen bin, meine Kinder könnten darunter leiden, wenn sie Cola oder Fanta nur in Ausnahmefällen im Gasthaus trinken dürfen, was wiederum den besorgten Vater zum Nachfragen veranlasst, wie man es denn anstellt, dass Kinder mit einem derartigen Verzicht zurechtkommen.
Langsam dämmert mir, dass hier trotz guten Willens und echten Interesses beider Seiten für ein konstruktives Gespräch die Ausgangspunkte zu weit voneinander entfernt sind, um im Rahmen einer öffentlichen Diskussion verhandelt zu werden. Diplomatisch bemühe ich mich um einen abschließenden Rat. »Ich denke, da müssen Sie wohl Prioritäten setzen und sich entscheiden, was
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