Platinblondes Dynamit
Cent herausgerückt, das kneifige alte Aas.
„Zeig doch mal her, was du bis jetzt produziert hast.“
„Hm“, meinte er, zwei Minuten später. „Ich verstehe, was du meinst.“ Sein Hirn arbeitete fieberhaft. Was macht ein Autor, der sich auf ihm unbekanntes Neuland vorwagt?
„Recherche!“
Folkmar machte „Hä?“, wie er es gerne tat. Doch Elmo war schon aus der Tür und keine fünf Minuten später zurück.
„Das hier sollte alle deine Fragen beantworten“, meinte er optimistisch. „Wenn du wissen willst, wasFrauen denken, fühlen, wovon sie träumen und wie sie ticken – hier sollte alles zu finden sein.“ Damit teilte er einen Stapel Magazine zwischen ihnen beiden auf.
Sie begannen zu lesen. Erst leise. Doch das hielt nicht lange.
„‚Längs oder quer?‘“, las Elmo vor, „,– Der Sommer wird streifig!‘‚ Gut zu wissen“, meinte er. „Kann ich endlich mein altes MSV Duisburg T-Shirt wieder hervorkramen.“
„‚Hungern war gestern! Die neue Frühjahrs-Diät!‘“
„‚Von Bubi bis Zopf! – 150 Trendfrisuren!‘“
„‚Kinder und Karriere? Wir sagen, wie’s geht!‘“
„‚Die flinke Nadel! 20 Häkelmuster zum Selbermachen!‘“
„‚Heiße Accessoires – kühl kombiniert!‘“
„‚Ist ER der Richtige? Der große Partnerschaftstest!‘“ Windell sah auf. „Stell dir vor, du bist verheiratet. Du kommst von der Arbeit nach Hause, machst die Tür auf, und da steht deine Frau, quergestreift mit einer selbstgehäkelten neuen Trendfrisur, dazu vollkommen verheult und mit gepackten Koffern. Du fragst natürlich, was los ist, und sie schmeißt dir dieses Heft vor die Füße und schreit: ‚Lies doch selbst! Von hundert möglichen Punkten erreichst du nur siebeneinhalb!‘“
„Und dann musst du noch feststellen, dass es deine Koffer sind, die sie gepackt hat.“
Die beiden Männer seufzten.
„Alles was ich als angehender Frauen-Autor hieraus lerne, ist, jeglicher Zurückhaltung im Umgang mit dem Ausrufezeichen ein für allemal Lebewohl zu sagen.“
„Das ist doch schon mal ein Anfang!“, meinte Elmo, doch es klang selbst für ihn etwas sehr erzwungen fröhlich.
„Nein, es hat keinen Zweck. Ich kann niemanden schreiben ohne … ohne was in der Hose, wenn du verstehst, was ich meine.“
Elmo schluckte. Irgendwann hatte Isadora Schuster sich halb in ihrem Schreibtischsessel aufgerichtet, mit eisiger Geringschätzung auf ihn hinabgestarrt und „Sie sind doch nichts als ein windiger kleiner Schmarotzer!“ gezischt. Die Erinnerung daran war genug, ihn in sichtliche Unruhe zu versetzen. Er musste … er brauchte … er brauchte jetzt … sie beide brauchten jetzt erstmal einen ordentlichen Schluck.
Mit drei schnellen Schritten war Elmo an der Luke der Goldenen Zellentür und kam langsam, tief in Gedanken, zurück, eine goldene CD in Händen.
„Nein“, sagte Folkmar. „Niemals! Nur über meine Leiche. Ich habe meinen Stolz. Und das –“, er deutete mit spitzem Finger, „– ist damit unvereinbar.“
Diesen Augenblick nutzte Vermieterin Wolanski, sich draußen im Flur mit ihrem ganzen Gewicht gegen den Klingelknopf der Herren Windell und Jock zu lehnen.
„So wie ich das verstehe, ist das Ganze sackeinfach.“ Elmo, der seit seinem fünften Lebensjahr mehr Zeit vor flimmernden Bildschirmen als im Bett zubrachte, hatte die Aufgabe der Installation von ‚Celldoor Anticrisis‘ übernommen. Sein computerphober Freund Folkmar saß nur da, blickte skeptisch und presste Tasten nach Anweisung. „Du gibst erstmal nur den Namen und ein paar andere Eckdaten deiner Hauptfigur ein, dann das Genre – zum Beispiel ‚ Melodram ‘“, betonte Elmo mit einigem an Suggestion, „Zielpublikum, plus Ort und Zeit, wo das Ganze spielt, und schließlich das, was du schon an Text hast. Anschließend kannst du dich zurücklehnen und erstmal das Programm weiterschreiben lassen.“
Folkmar tippte ‚Kriminalroman‘ in die Genre-Spalte, zögerte beim Zielpublikum. „Und wenn mir das nicht gefällt, was es produziert?“
„Kannst du alles wieder löschen oder aber drinlassen und nach deinen Vorstellungen modifizieren. Das ist doch genial.“
„Trotzdem ist mir nicht wohl dabei, so ein übergriffiges Programm auf meinem Rechner zu haben.“
„Wenn es nichts taugt, hauen wir es wieder raus, okay?“ Und Elmo schickte noch den wohl unheilschwangersten Satz hinterher, den die Geschichte der Menschheit kennt: „Glaub mir, da kann überhaupt nichts schiefgehen.“
Folkmar
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