Platon in Bagdad
umfasste es die beiden Werke in Kodex A, die Wilhelm von Moerbeke weggelassen hatte,
Die Sandzahl
und Eutokios’
Kommentar über die Kreismessung
. Kurz nachdem Jakob seine Übersetzung fertig gestellt hatte, schickte der Papst ein Exemplar an Nikolaus Cusanus, der sie für seine 1453 – 1454 verfassten
Mathematischen Ergänzungen
(De mathematiciscomplementis) verwendete. Es existieren mindestens neun Exemplare dieser Übersetzung, von denen eine von Regiomontanus korrigiert wurde.
Kodex A selbst wurde mehrmals kopiert: Eine Abschrift fertigte Kardinal Bessarion zwischen 1449 und 1468 an, eine andere der Humanist Giorgio Valla, der sich in seinem Buch
De expetendis et fugiendis rebus
darauf stützte, das 1501 in Venedig gedruckt wurde. Wie erwähnt besaß Kopernikus ein Exemplar von Vallas Werk, in dem er in Archimedes’
Sandzahl
über die von Aristarch von Samos vorgelegte heliozentrische Theorie gelesen haben muss, die seine Theorie um 1800 Jahre vorwegnahm.
Seit Mitte des 16. Jahrhunderts wuchs das Interesse an Archimedes, sein Einfluss zeigt sich in den Werken von Commandino, Simon Stevin, Kepler, Galilei, Torricelli, Leibniz, Newton und vielen anderen. Es wurden Übersetzungen ins Italienische, Französische und Deutsche angefertigt, und 1675 wurde eine neue lateinische Ausgabe von Isaac Barrow veröffentlicht. Ende des 18. Jahrhunderts erstellte der italienische Mathematiker Giuseppe Torelli (1721 – 1784) eine neue Ausgabe des griechischen Texts mit lateinischer Übersetzung, die nach seinem Tod von Abram Robertson in Oxford veröffentlicht wurde.
Trotzdem blieben einige Schriften des Archimedes verschollen, vor allem
Die Methodenlehre
, über deren Existenz man nur aus Verweisen bei Heron von Alexandria und in dem byzantinischen Handbuch aus dem 10. Jahrhundert
Suda
wusste, demzufolge Theodosius von Bithynien einen Kommentar dazu schrieb, der allerdings auch verloren ist.
Die von Heiberg entdeckten Handschriften gehörten zu einem Palimpsest, in diesem Falle einem Euchologion, einem Gebetbuch, das aus wiederverwendeten Pergamentblättern bestand, deren Originaltext weggekratzt und dann mit dem neuen liturgischen Dokument überschrieben worden war. Auf das Euchologion aufmerksam geworden war Heiberg durch einen 1899 von dem griechischenGelehrten A. Papadopoulos-Kerameus veröffentlichten Bericht, die Katalogbeschreibung einer Handschriftensammlung in der Georgskirche in Istanbul. Papadopoulos-Kerameus war aufgefallen, dass die unterliegende Schrift des Palimpsests M355 einen mathematischen Text enthielt, von dem er einige Zeilen in dem Katalog abdruckte. Heiberg arbeitete damals an seiner eigenen Ausgabe des Archimedes und erkannte die Zeilen als aus einem Werk von Archimedes stammend. Er reiste nach Istanbul und untersuchte das Palimpsest, zuerst 1906 und dann noch einmal zwei Jahre später, als er die Handschrift mit Hilfe der neu erfundenen ultravioletten Lampe photographierte. 1907 berichtete er in einem Artikel in der wissenschaftlichen Zeitschrift
Hermes
ausführlich über seine Entdeckung, und 1910 – 1915 arbeitete er seine Erkenntnisse in die zweite Auflage seines dreibändigen Grundlagenwerks zu Archimedes ein. Inzwischen hatte T. L. Heath
Über die Methode
ins Englische übersetzt und es der Neuauflage seines Buches
Die Werke des Archimedes
, veröffentlicht 1912, als Anhang hinzugefügt.
Papadopoulos-Kerameus zufolge enthielt das Palimpsest eine Inschrift aus dem 16. Jahrhundert, die besagte, dass es dem alten Kloster St. Savas in Palästina gehörte, auf Arabisch Mar Saba genannt, das im Jahr 483 nur wenige Kilometer von Bethlehem entfernt am Westufer des Jordans gegründet worden war. Zum Kloster gehörte ein Skriptorium, dessen Sammlung über 1000 Werke umfasste. Als das griechisch-orthodoxe Patriarchat von Jerusalem Mar Saba im Jahr 1625 kaufte, bestand es nur noch aus Ruinen, bevor man 1688 mit der Restaurierung begann. Es wird vermutet, dass das Euchologion und andere antike Handschriften von Mar Saba Anfang des 19. Jahrhunderts nach Istanbul ausgelagert und im Metochion des Heiligen Grabes aufbewahrt wurden.
In den frühen 1840er-Jahren besuchte der deutsche Bibelwissenschaftler Konstantin von Tischendorf das Metochion. In seiner
Reise in den Orient
(Leipzig 1846) berichtet er, dort nichts Besonderes gefunden zu haben, mit Ausnahme eines Palimpsests, dessen Seitenauch ein wenig Mathematik enthielten. Eine Seite des Euchologions hatte er offenbar gestohlen, denn 1879 wurde ein
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