Platon in Bagdad
ist es Buridan zu verdanken, dass er Erklärungen mittels der aristotelischen Zweckursachen
(causa finalis)
aus der Physik verbannte. Bis zum 17. Jahrhundert waren seine Bücher an den Universitäten Pflichtlektüre; auch Kopernikus und Galilei müssen sie gelesen haben. Kopernikus übernahm einige von Buridans Argumenten zur Erklärung der Erdbewegungen, und Galilei hauchte der Impetustheorie in seinen eigenen Gesetzen der Kinematik und der Dynamik neues Leben ein.
Wie bei anderen namhaften Gelehrten des Mittelalters rankten sich um Buridan abenteuerliche Legenden. Eine davon hielt der französische Dichter François Villon in der berühmten Ballade
Ballade des dames du temps jadis
fest, das schmähliche Ende einer Affäre Buridans mit Margarete von Burgund: Die Königin habe ihn in einen Sack schnüren und in die Seine werfen lassen.
Sein berühmtester Schüler war Nikolaus von Oresme (um 1320 – 1382), der in den 1340er-Jahren bei Buridan an der Pariser Universität studierte. Er wurde zum Leiter des Kollegs von Navarra gewählt und drei Jahre später Sekretär des Kronprinzen, des späteren Königs Karl V. Seit etwa 1369 beschäftigte ihn Karl als Übersetzer der lateinischen Fassungen von Werken des Aristoteles ins Französische, und als Dank dafür wurde er 1377 auf Geheiß des Königs zum Bischof von Lisieux ernannt. Dieses Amt bekleidete er bis zu seinem Tod 1382.
Im
Tractatus de configurationibus qualitatum et motuum
, den er während seiner Zeit am Kolleg von Navarra in den 1350er-Jahren verfasste, bildet Nikolaus von Oresme die Merton-Regel der mittleren Geschwindigkeit anhand eines Diagramms ab. Darin ist die Geschwindigkeit (
v)
auf der vertikalen Achse in Abhängigkeit von der Zeit
(t)
auf der horizontalen Achse dargestellt, wie im Fall eines Körpers, der aus dem Ruhezustand beschleunigt wird, so dass sich seine Geschwindigkeit um 2m pro Sekunde erhöht. Stellt man die Bewegung über einen Zeitraum von 4 Sekunden dar, so erhöht sichdie Geschwindigkeit mit jeder Sekunde: von 0 auf 2, dann 6, und nach Ablauf von 4 Sekunden auf 8 m/sec. Das ergibt eine gerade Linie, die über einen Zeitraum von 4 Sekunden von 0 auf 8 m/sec steigt, so dass ein rechtwinkliges Dreieck entsteht, mit einer Höhe von 8 Metern und einer Basis von 4. Die Beschleunigung
(a)
ist gleich der Schräge der geraden Linie, die 8/4 oder 2 ist, in Einheiten von m/sec. Die durchschnittliche Geschwindigkeit entspricht der Hälfte der Endgeschwindigkeit, die 8/2 oder 4 m/sec beträgt. Die Merton-Regel ergibt die in 4 Sekunden zurückgelegte Entfernung
s
als 4 × 4, d. h. 16 Meter. Die Regel kann über jeden Zeitraum von einer Sekunde angewendet werden, so dass sich die Durchschnittsgeschwindigkeit in jeder Sekunde von 1 auf 3 auf 5 auf 7 Meter pro Sekunde erhöht. Die zurückgelegte Entfernung in Meter beträgt dann in der ersten Sekunde 1, in der zweiten 3, in der dritten 5 und in der vierten 7. Diese Ergebnisse kann man anhand der Gleichungen v = a × t und s = a/2 × t 2 verallgemeinern. Es sind die kinematischen Gleichungen, die Galilei in
Unterredungen und mathematische Demonstration über zwei neue Wissenszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend
(1638) aufstellte, wo er Oresmes Darstellung der Merton-Regel in seinem Beweis übernahm.
Auch in der Astronomie war Oresme ein origineller Denker. Seine Ideen legte er in dem für Karl V. verfassten Buch
Livre du ciel et du monde d
’
Aristote
(1377) dar. Zum Beispiel vergleicht er die ewige Bewegung der Himmelssphären mit einer ewigen mechanischen Uhr, die von Gott im Moment der Schöpfung in Bewegung gesetzt wird: »Aber in Wahrheit ist es nicht unmöglich, wie wir im vorherigen Kapitel ausgeführt haben, daß die Himmel bewegt werden ohne Zwang oder Kraftaufwand durch eine ihnen gegenwärtige Kraft oder körperliche Qualität; denn der Widerstand des Himmels schwächt ihn nicht ab zu irgendeiner anderen Bewegung oder zum Stillstand, sondern verhindert nur, daß sie schneller bewegt werden.«
Oresme verwarf die aristotelische Vorstellung, dass die Erde dasfeststehende Zentrum des endlichen Kosmos und der Bezugspunkt für jegliche Bewegung und Gravitation sei. Er argumentierte, Bewegung, Schwerkraft und die Richtungen im Raum seien als relativ zu betrachten, und Gott könne in seiner Allmacht ein unendliches Weltall und so viele Universen schaffen, wie er wünsche. Auf diese Weise konnte Oresme die Vorstellung von der Erde als fixem Zentrum des Kosmos, auf das jegliche
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