Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
sagte lieber nichts, musste dann aber doch schimpfen, als ein Kurierdienstwagen sie übel schnitt und zu einer Vollbremsung zwang. Es lag irgendwas in der Luft, und auch als sie ins Büro kamen, wirkte die Atmosphäre angespannt. Andrea hatte auf sie gewartet und verkündete, dass der Computer ausgewertet sei.
»Und was habt ihr gefunden?«, fragte Irmi.
»Geschichten«, kam es gedehnt von Andrea.
»Was für Geschichten? Geht’s etwas konkreter?«, fragte Kathi spöttisch. Ihre gute Phase schien vorüber zu sein. Wahrscheinlich wurmten sie immer noch die Knöpfe und der fehlende Arsch.
Andrea musste schlucken, sagte dann aber mit fester Stimme: »Dateien mit Geschichten, deren Titel nach schlechten Filmen klingen, und mit Namen, die wirklich brisant sind. Namen aus der besseren Gesellschaft. Ich hab euch das alles ausgedruckt. Außerdem hab ich den E-Mail-Verkehr mit dem Verlag gefunden. Das Buch muss gerade im Lektorat sein. Die letzten Mails beziehen sich auf Fragen zum Text.«
Irmi gratulierte Andrea innerlich, dass sie Kathi so gut standgehalten hatte. »Das heißt, der Waldschrat Hias hatte recht. Es gibt ein Buch. Kommt er auch vor?«
»Ich habe vieles nur überflogen, über ihn gibt es eine Wilderergeschichte, die ist … ähm … noch harmlos. Aber …«
»Aber was?«
»Aber sie schreibt auch über einen Marc von Brennerstein.«
»Das ist ihr Ex!«, rief Irmi.
»Oh, dann ist es ja noch schlimmer. Also, na ja, es gibt eine Geschichte von einer Drückjagd mit Hunden auf Einladung von diesem von Brennerstein. Es wurde viel geschossen und schlecht getroffen, außerdem wohl auch auf Böcke, und das nach dem 15. Oktober, wo die – so hab ich das verstanden – schon Schonzeit hatten. Und dann ist ein angeschossenes Tier ins Nachbarrevier gelaufen, und die haben nachgesucht, ohne die Nachbarn zu verständigen. Ich kenn mich ja nicht aus mit dem Jagen, aber das ist wohl der totale Fauxpas. Und ein zweites Tier mit einem Keulenschuss ist auch ins Nachbarrevier gelaufen. Da hat aber keiner nachgesucht, und es wurde nach Tagen vom Nachbarn elend verendet aufgefunden. Das ist ein Verstoß gegen das Jagdgesetz.« Andrea atmete schwer. Sie hatte lange referiert, fast ganz ohne ihre sonst so häufigen Ähms und Alsos.
Alle sahen sie an.
»Ja, und der von Brennerstein hat mit seinen Kumpels auch mit Nachtzielgeräten geschossen. Nachtsichtgeräte zum Rumlaufen im Dunkeln darf man schon benutzen, aber nicht Nachtzielgeräte, das ist ein Verstoß gegen das Nachtjagdverbot. Ich hab nachgesehen. Eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang darf eh keiner mehr rumschießen.«
»Das ignorieren aber viele der honorigen Jäger«, meinte Irmi und dachte an Bernhard und seinen Schrotallerwertesten.
»Am fiesesten finde ich«, setzte Andrea nach, »dass der von Brennerstein mal gesagt haben muss, als es um die armen Kitze ging, die zusammengemäht werden: Was wir dermäht haben, müssen wir schon mal nicht mehr erschießen. Da erwisch ich gleich drei, hat er gesagt. Das ist doch …« Andrea kämpfte mit den Tränen.
Irmi kannte genug Bauern, die das zwar nicht aussprachen, aber dachten. Denen gingen die zermähten Kitze sonst wo vorbei. Manche hielten sogar drauf zu und unterbanden Hilfsangebote von Naturschützern, die Wiesen vor dem Mähen abzugehen. Und das Flugobjekt mit Temperatursensor, das man über Wiesen fliegen lassen konnte, damit es Aufschluss über eventuelle Tiere im Gras gab, würden die in tausend Jahren nicht einsetzen.
»Die entscheidende Frage ist dann aber doch, ob dieser von Brennerstein das gewusst hat«, meinte Kathi. »Hat er gewusst, dass seine Ex über ihn wenig feine Geschichten schreibt?«
»Ja, und genau das werden wir ihn fragen«, sagte Irmi.
»Herrgottsakrament, des wird der sicher ned woin, dass des an die Öffentlichkeit kimmt«, meinte Sailer. »Des klingt ja schauderhaft. Wenn des stimmt.«
»So was stimmt immer. Diese Regina hat sicher sauber recherchiert. Außerdem wird kein Verlag der Welt es wagen, so was zu drucken, wenn es nicht hieb- und stichfest ist«, meinte Irmi. Sie nahm den Ausdruck des Textes in die Hand und überflog das Vorwort.
»Sehr interessant«, meinte sie dann. »Wisst ihr was? Ich lese es euch einfach mal vor.«
Wenn Frauen scharf schießen
Mein Sepp war sechzehn Jahre alt, als er hochbetagt in die ewigen Jagdgründe einging. Sepp war ein prächtiger handzahmer Hirsch, der Hunderten von Kindern in meinem Naturpädagogikzentrum den engen Kontakt zu einem
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