Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
irgendwann mal entdeckt, und sie hatte ihm verboten, darüber zu reden. Und natürlich hatte der Bruder loyal zur geliebten Schwester gehalten! So weit war das alles klar und verständlich, aber was hatte das alles mit dem Tod der wortgewaltigen Regina von Braun zu tun?
Irmi stutzte kurz. Sie hatte doch eine Kollegin, die aus dem Außerfern stammte! Geburtsort Reutte! Morgen würde Irmi Kathi ein bisschen über ihre Heimat ausfragen, die sich längst als Tourismusparole ›Alles außer fern‹ aufs Banner geschrieben hatte.
Irmi war todmüde und fühlte sich so zittrig und labil, als habe sie gerade einen schweren Magen-Darm-Infekt überstanden. Neben ihr hatte der kleine Kater begonnen, sich zu putzen. Das monotone Geräusch, das er dabei verursachte, klang in ihren Ohren unnatürlich laut – so als seien Irmis Sinne heute besonders sensibel.
Sie schlief dennoch sehr gut, nur einmal unterbrochen von einem halbstündigen Ringkampf mit dem kleinen Kater, der partout der Meinung war, auf ihrem Kopf schlafen zu müssen, was zum einen den Charakter einer viel zu warmen Pelzmütze hatte und zum anderen einfach etwas bedrückend war. Am Ende war der Kater zu überzeugen, den Rest der Nacht im Fußraum des Bettes zu verbringen.
Am Donnerstagmorgen erwachte Irmi frisch erholt. Die alte Weisheit ›Schlaf mal eine Nacht darüber‹ hatte viel Wahres an sich. Abende eigneten sich zum Biertrinken und Katerkraulen, der Morgen zum Arbeiten. Die Schwermut, die dieses Waldgut mit sich brachte, war dem normalen Leben gewichen. Heute wusste Irmi gar nicht mehr, was sie am Vorabend so verwirrt hatte. Sie war früh im Büro und ging gleich zu Andrea.
»Schau mal, das ist ein Netbook von Regina von Braun. Sie hat unzählige Ordner und Unterordner angelegt, mir ist das zu chaotisch. Ich vermute, das ist eine Art elektronisches Tagebuch, ich spekuliere einfach mal, dass das auch ein Buch hätte ergeben sollen. Vielleicht teilst du meine Ansicht aber nicht, und es ist eben einfach nur ein Tagebuch. Ich brauche eine Reihenfolge von allen Textfragmenten. Jede deiner Vermutungen, wozu das alles dient, ist willkommen.«
Andrea strahlte Irmi an. »Kein Problem. Ich fange sofort an.«
Kathi war auch schon da, und auf die Minute genau traf von Brennerstein ein, zusammen mit seinem Anwalt, der sich als Ferdinand von Eberschwaigen vorstellte. Klar, man hatte auch einen Anwalt aus den besseren Kreisen. Herr von Eberschwaigen war sicher auch Jäger und sah aus wie eine Art blonde Version seines Mandanten.
Letztlich gab man zu Protokoll, dass Marc von Brennerstein tatsächlich in Reginas Laptop herumgeschnüffelt habe. Auf das Wort Platzhirsch sei er gekommen, weil er Regina mal unauffällig über die Schulter gesehen habe, wie sie es eingetippt hatte. Der Mandant habe ihr gegenüber seine Bedenken geäußert und wegen des Buchinhalts rechtliche Schritte erwogen. Der Anwalt sprach Hochdeutsch mit einer winzigen bayerischen Dialekteinfärbung – damit war er quasi prädestiniert, im ›Mir san mir‹-Land etwas zu werden.
»Und das dürfen Sie mir glauben, wir hätten auf Verleumdung geklagt und gewonnen«, sagte der Anwalt und sah Irmi arrogant an. »Meine Kanzlei ist auf derlei Fälle spezialisiert. Es ist zwar rein moralisch nicht ganz integer, in den Unterlagen seiner Partnerin zu stöbern, aber nicht strafbar.« Er lachte affektiert. »Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.«
»In der hohen Jagd offenbar auch, wenn Sie von hohen Herren ausgeführt wird«, entfuhr es Irmi.
Die beiden Männer runzelten nur die Stirn. Von Brennerstein unterzeichnete das Protokoll, er hatte auch nichts gegen eine erkennungsdienstliche Behandlung. Dann gingen sie.
»Solche Arschlöcher!«, rief Kathi, und Irmi hoffte nur, dass die beiden das nicht noch gehört hatten.
»Ich trau ihm auch nicht, aber wir müssen ihm irgendwas beweisen. Wir brauchen Reifenspuren, jemanden, der ihn in der Mordnacht gesehen hat. Wenn wir Fingerabdrücke oder DNA von ihm im Gut finden, ist das kaum aussagekräftig. Er war ja mit Regina zusammen.«
»Und das weiß der Arsch auch!«, ergänzte Kathi.
Sie holten sich Kaffee und waren ratlos. Kathi hatte von irgendwoher Manner-Waffeln gezaubert. Herrlich, die zerbröselten so schön im Mund. Beide sprachen nicht aus, was sie dachten. Wie sollte es nun weitergehen? Irmi nahm noch eine Waffel, trank Kaffee hinterher, genoss die Süße gepaart mit dem Bitteren. Ihre Gedanken, diese lästigen Gedanken, kreisten um Regina und
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