Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
Strecke fast täglich zur Arbeit.«
»Kein Alibi, oder! Du, du …« Kathi schluckte, aber Irmi wusste, dass ihre Kollegin kurz vor der Explosion stand.
»Kathi, eure Autos stehen vorn an der Straße, du würdest es nicht mal hören, wenn sie ihren Wagen anließe.«
In der Tat lag das schmucke Bauernhaus der Reindls an einer kleinen Stichstraße. Für parkende Autos war viel zu wenig Platz, weshalb Elli und Kathi ihre Autos immer vorne an der kleinen Straße abstellten. Sie verfügten über zwei Parkbuchten vor dem Haus der Nachbarin.
»Ja, reim dir nur was zusammen, du, du … selbstgefälliges Stück!«
Es ging einfach nicht. Es rumorte in Irmis Innerem. Sie verstand Kathi nur zu gut, aber das ging einfach zu weit. Sie war niemand, der auf Autoritäten pochte, was sich manches Mal schon als Fehler erwiesen hatte. Zu viel kumpelhaftes Verhalten motivierte schwächere Menschen schnell zur Auflehnung und Unhöflichkeit. Je länger die Leinen wurden, an denen man seine Mitarbeiter laufen ließ, desto mehr verhedderten sich diese in ihren eigenen Unzulänglichkeiten. Sie konnte das nicht mehr tolerieren.
Mit kühler Stimme, die gar nicht zu ihr zu gehören schien, sagte Irmi: »Kathi, ich ziehe dich von diesem Fall ab. Ich gebe das auch schriftlich an die Dienststelle in Weilheim weiter. Solange deine Mutter involviert ist, lehne ich dich wegen Befangenheit ab. Du nimmst deine Überstunden, dann sehen wir weiter.«
Kathi war nicht mehr zu bremsen. »Ja, Frau Siebengscheit. Ja, Frau Hauptkommissar. Gib’s mir!«
»Du kannst dich gerne beschweren, aber bitte halte den Dienstweg ein.«
Kathi fuhr herum. Da stand Andrea, die für die Wochenendschicht eingeteilt war. »Na, prima, da steht ja schon der Bauerntrampel. Nimm den doch mit. Das passt ja perfekt: Bauerntrampel zu Bauerntrampel.«
Andrea starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Sie war mitten ins Schlachtfeld gestolpert. Irmis ganzes Inneres bebte. Am liebsten hätte sie Kathi auch angebrüllt, hätte um sich geschlagen, sich verteidigt, dem Brodeln in ihrem Inneren ein Ventil verschafft. Aber sie sagte nur sehr leise: »Es reicht. Geh jetzt!«
Und Kathi ging.
Andrea sah aus, als würde sie gleich losheulen. »Ich … ich … ich wollte nicht, ich …«
»Schon gut. Das ist nicht deine Schuld. Was kann ich für dich tun?«
»Ich wollt nur sagen, dass ich die Sachen an jemanden in München vom Landeskriminalamt gemailt habe. Da ist eine Dame, die übersetzt uns die Texte. Sailer hat gemeint, seine Oma könne das auch, aber ich dachte, ähm, das wäre zu privat, ähm …«
»Wunderbar, da denkst du völlig richtig. Und was ist mit dem Biathlontrainer?«
»Ich erreich ihn über sein Handy nicht, aber ich weiß, dass er momentan, ähm, auf der Anlage ist, das hab ich vom Verein erfahren. Er bereitet einen Saisonabschluss-Wettkampf vor. Der findet morgen statt.«
»Gut, wir fahren nach Bichlbach. Du kommst mit. Ich erklär dir auf der Fahrt das Problem.« Das Problem? Elli Reindl war mehr als ein Problem.
Nachdem Irmi Andrea auf den aktuellen Stand gebracht hatte, schwieg die junge Polizistin eine Weile. Dann sagte sie leise: »Die arme Kathi.« So war Andrea: empathisch, leicht zu erschüttern. Dabei war Kathi nicht besonders nett zu Andrea, und doch hatte sie spontan Mitleid. Irmi und Andrea – zwei Bauerntrampel, die vermutlich beide ein Mitfühlgen von der Natur mitbekommen hatten.
Vor der Trainingsanlage in Bichlbach stand ein Kombi. Die Tür zum Klubstüberl war offen.
»Hallo!«, rief Irmi in den Gang.
Keine Antwort.
»Komm«, sagte sie zu Andrea und schleuste sie in den Keller und durch die Umkleide. Dort stand Tommy und hängte gerade Startnummern auf eine Wäscheleine. Ganz der Hausmann! Irmis Blick glitt zum Schrank.
»Morgen. Schön, dass der Schrank heute mal abgesperrt ist!«
»Was?«
»Als ich am Donnerstag hier war, stand er offen, und es befanden sich Waffen darin. Sie wissen schon, dass Sie sich damit strafbar machen?«, fragte Irmi.
»Wer sind Sie?«, fragte er und sah dabei nicht sonderlich intelligent aus. Ansonsten war er ein attraktiver Typ um die dreißig, knappe eins achtzig groß, blond, graue Augen. Braun gebrannt. Für Irmis Geschmack war er viel zu dünn. Ein Mann vom Typ Ausdauersportler, der nur aus Sehnen und Muskeln bestand und dessen BMI wahrscheinlich im Minusbereich lag. Einer, der skaten konnte wie der Teufel, der im Sommer in irrwitziger Geschwindigkeit auf den Rollenski durch die Täler pfiff. Andrea
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