Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Titel: Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
Vom Netzwerk:
Beziehung auch – und Ellen macht sich bis heute Vorwürfe, dass sie als Ersatzmutter versagt hat. Aber wenn die echten Mütter Kinder instrumentalisierten, und sei es nur, um dem Ex eins auszuwischen, versagte eben jede Ersatzmutter. Genau das hatte Irmi auch zu Ellen gesagt. Er entkam den Manipulationen seiner Gattin ja auch nicht. Sie hielt ihn wegen der Töchter. Aber diese wurden älter und älter. Irgendwann würde das Argument nicht mehr ziehen – und was war dann?
    »Habt ihr wieder Kontakt?«, fragte Lissi.
    »Er ruft seinen Vater ab und zu an. Mich nicht, ich bin ja auch nur eine bayerische Dumpfbacke.«
    »Vergiss es. Schwieriges Alter. Und sei froh, ihr habt nämlich ohne den Buben mehr von euch«, meinte Lissi ganz pragmatisch.
    Die beiden redeten weiter, Irmi hörte mit einem Ohr zu. Genau dieses Dumpfbackenklischee regierte doch die Wahrnehmung eines Großteils der Republik. Schöne Landschaft, doofe Bauern. Ob solche Ansichten aus dem Neid geboren waren? Wie auch immer: Irmi bedauerte es, dass die Bayern dieses Image selbst mit aller Vehemenz und Penetranz aufrechterhielten. Wenn sie ab und zu mal Fernsehkrimis sah, was gaben ihre TV-Kollegen denn für ein Bild ab? Und was waren die Ermittler in den ausufernden Krimiregalen für Deppen? Man zimmerte die Klischees fest und fester. Aber auch in Bayern hatten Polizisten eine Ausbildung, und hätte sie tatsächlich solche Kollegen gehabt, wie sie in Bücher und Drehbücher hineingeschrieben wurden, dann hätte sich Irmi längst eine Kugel durch den Kopf geschossen.
    Als die beiden Freundinnen proseccoselig abzogen, war es Nachmittag geworden. Bernhard war wie immer bei irgendeinem Stammtisch. Später half sie ihm im Stall, kraulte ihre Kater, fühlte sich aber immer noch nicht gut. Kleine Ablenkungen blieben eben immer das, was sie waren: nichts als kurze Unterbrechungen, um einmal durchzuatmen.

7
    November 1936, Martini
    Der Abschied war doch sehr traurig. Wir werden das letzte Mal draußen gewesen sein, sagten uns die Knechte. Weil Hütekinder einfach aus der Mode seien, meinte der Jakob, und die Johanna wusste vom Herrn Studenten, dass wir obsolet sind. Natürlich weiß auch Johanna nicht, was das bedeutet.
    Wir durften für den Rückweg die Eisenbahn nehmen von Kempten bis Reutte. Aber nur, weil die Herrin das bezahlt hatte. Für den Hinweg aussi hätte der Herr Vater nie Geld berappt. Nie! Die Eisenbahn war ein Ungetüm, mir war sehr bange. »Isch das hetzig«, sagte Johanna immer wieder. Sie hat sich wieder richtig gut erholt, ein rechtes Stehaufmännlein oder besser Stehaufweiblein ist sie. Jakob hat gemeint, er wolle am liebsten Zugführer werden. Ach Jakob, du kannst nicht mal richtig lesen, und wenn du schreibst, ist das ein schlimmes Gesudel! Du wirst deine drei Geißn und eine Kuh haben in Hinterhornbach wie dein Vater, und weil deine Geschwister alle tot sind – die Zwillinge verhungert, der große Bruder von der Lawine verschüttet –, deshalb bekommst du den halben Hof. Das ist viel, mein lieber, guter Jakob.
    In Reutte begann es zu schneien. Mir war das Herz so schwer, und uns allen war so merkwürdig zumute. Bis Stanzach nahm uns eine Kutsche mit. Am liebsten wäre ich gar nicht angekommen. Wir liefen bergan. Die Beine waren so schwer. Ich drückte und herzte Jakob, der als Erster abbiegen musste. Dann die Johanna, die mir ins Ohr flüsterte: »Wenn du’s doch wegmachen willst, ich helf dir.« Ich ließ die Zeit verstreichen. Es dunkelte schon sehr, und als ich in die Stube trat, war es stockdunkel.
    Der Herr Vater saß vor der Kerze, die Mutter stopfte in schlechtem Lichte. Der Herr Vater sah nur kurz hoch, meinte, ich sähe gut aus, und wollte meinen Lohn haben. Ich händigte ihm das Geld aus, und mein Herz schlug bis zum Halse. Sah er gar nicht, wie viel mehr ich trug unter meinen Bandagen? Ich zeigte mein neues Gewand und die neuen Stiefel. »Gut«, sagte der Herr Vater, nahm seinen Hut und ging.
    Die Mutter stand auf. Malad sah sie aus. »Wäch bisch«, sagte sie und umarmte mich. Da stutzte sie und schrak zurück wie vor dem leibhaftigen Teufel. »Föhl, des Unglück! Und der Vatter wird es sich zammareima. Wie lang willst das verbergen?« Ich plärrte, auf einmal plärrte ich, als ob jemand alle Schleusen geöffnet hätte, ich konnte gar nimmer aufhören. Die Mutter fragte irgendwann. »Wer?« Ich musste ihr gestehen, dass es der Herr gewesen war. Sie bekreuzigte sich und sagte, dass ich beichten gehen müsse. Sofort.
    Mir

Weitere Kostenlose Bücher