Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
nicht so genau. Neulich war ich im Klubstüberl in Bichlbach auf der Suche nach einem Klo und habe zufällig den Waffenschrank gefunden, und zwar offen. Da hätte sich jeder ein Gewehr rausziehen können.«
Elli Reindl schwieg.
»Elli, du verlässt bitte nicht die Gegend. Wenn du das vorhast, melde dich bei mir. Wenn dir irgendetwas einfällt, wenn du Hilfe brauchst, melde dich auch. Und besänftige bitte Kathi. Ich hab sie vom Fall abgezogen, wenn sie aber so weitermacht mit ihren Beleidigungen, muss ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen. Sie kann nicht alles ungefiltert rausschreien.«
»Danke«, sagte Elli Reindl und nahm Irmis Hand. Irmi war das eher unangenehm. Sie war längst viel zu privat geworden.
Als sie im Auto saßen, fragte Andrea: »Hätten wir sie nicht festnehmen müssen?«
»Ermessenssache«, brummelte Irmi. »Wenn wir im Büro sind, will ich alles über diesen tollen Tommy wissen. Alles!«
Zurück im Büro, verschwand Andrea hinter ihrem Computer, und Irmi fuhr nach Weilheim zu einer Dienstbesprechung mit einigen Kollegen aus den umliegenden Landkreisen. Auch die Allgäuer waren dabei. Ihr war heute so ätzend zumute, sie hatte wahrlich Besseres zu tun, als sich mit Kollegen auszutauschen. Aber ihre Anwesenheit wurde angeordnet. Und das auch noch am Samstag!
In den Gesprächen ging es am Ende um den europäischen Rettungsfonds, Stammtischparolen wurden ausgetauscht, und eine große Mir-san-mir-Fraktion hatte gepoltert, dass man es leid sei, von Bayern aus Berlin und das Saarland mitzufinanzieren. Und die mediterranen Faulpelze in Europa wolle man schon gar nicht unterstützen. Irmi hätte gerne gesagt, dass man mal überlegen solle, wer vom Export in Europa am meisten profitiere. Und sie hätte am liebsten darüber gesprochen, dass vor fünfzig Jahren das bäuerlich arme Bayern Unterstützung von Nordrhein-Westfalen bekommen hatte. Aber polternde Polemik lähmte sie – heute ganz besonders. Sie hatte einen Mord aufzuklären.
Irmi verbrachte ihren Sonntagvormittag damit, Betten neu zu beziehen. Die Katzenhaare flogen, dass es nur so eine Freude war. Auch die überladene Spüle hatte es mal verdient, dass sie Luft bekam, und Irmi war froh, dass sie den Saustall etwas ausgemistet hatte, als Lissi mittags mit Ellen, einer gemeinsamen Bekannten aus Ohlstadt, überraschend bei ihr einfiel.
»Griaß di. Ich hab Prosecco dabei.« Prosecco war Lissis Allheilmittel, den sie immer ein wenig zu süß trank. Außerdem hatte sie einen wunderbaren Blechkuchen mit Zwiebeln, Kräutern, Speck und Käse dabei. Lissi nannte das ihre Bauernpizza. »Du hast doch bestimmt nichts Gscheits gegessen!«, sagte sie tadelnd. In Lissis Augen aß Irmi nie was Gscheits, denn gscheit war selbst gekochtes Essen mit ausschließlich frischen Zutaten. Dosensuppen waren in ihren Augen eine Todsünde.
Die gute Lissi, die gute Ellen. Sie aßen und ratschten über dies und das. Ellen, die zwei Jobs als Kellnerin in Ogau und in Murnau hatte, erzählte gerade von der neuen Auszubildenden. »Die hat überall Piercings und neuerdings so Schnecken in den Ohren wie die Afrikanerinnen. Und wenn die im Dirndl serviert, dann schauen überall Fabelgestalten raus. Ein schuppiger Schwanz wächst ihr das Bein hinunter, und auf den Arm ist eine fiese Krallenpranke tätowiert.« Ellen schüttelte sich. »Ich möcht gar nicht wissen, wo das Ding an ihrem Körper seinen Anfang nimmt. Und mit welchem Teil.«
Irmi lachte schallend. »Wir sind halt eine aussterbende Spezies. Die der Untätowierten. Oder bist du tätowiert, Lissi?«
»Spinnst? Und wenn ich dann achtzig bin, wäscht mir jemand meinen faltigen Skorpion am Rücken oder irgendwas anderes, was in den Bauchfalten versteckt ist. Igitt!«
»Georgs Sohn hat sich auch tätowieren lassen. Einen Porsche, aber bloß ganz klein«, meinte Ellen.
Georg war Ellens neuer Freund. Er stammte aus dem Ruhrpott und hatte seinen sechzehnjährigen Sohn mit in die Beziehung gebracht. Ziemlich faul, aber ansonsten ein netter Junge ohne Alkoholexzesse und Drogenprobleme. Und das war heute ja beachtlich, fand Irmi. Nach den letzten Weihnachtsferien war er allerdings völlig verändert von seiner Ruhrpottmutter zurückgekommen und hatte gerufen: »In Bayern kann man nicht leben, sondern höchstens Urlaub machen. In Bayern leben doch nur Dumpfbacken.« Die Infiltration der Mutter hatte gewirkt. Der Junge war zur Mutter gezogen, weg von den Dumpfbacken. Ellens Freund hatte sehr darunter gelitten, die
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