Ploetzlich blond
ganzen Kabel, Schläuche und Geräte betrachtete, kam mir allmählich der Verdacht, dass ich irgendwas richtig Schlimmes hatte.
Wenn ich doch nur einen Schluck Wasser bekommen könnte. Das war das Einzige, was ich wollte, dann wäre alles gut und ich könnte wieder einschlafen …
Ich öffnete den Mund und sagte: »Dad?« Aber es blieb still.
Aus meinem Mund kam kein Ton. Ich musste mehrmals ansetzen, bevor ich überhaupt etwas rausbekam, und selbst das hörte sich mehr nach einem Krächzen an.
»Dad?«
Meine Stimme klang total komisch. Ich verstand nicht, was los war. Vielleicht war sie eingerostet, weil ich schon so lange nicht mehr gesprochen hatte. Oder meine Stimmbänder waren vor lauter Durst verdorrt.
Plötzlich hob mein Vater ruckartig den Kopf und starrte mich mit großen Augen an. »Em?«, fragte er zögernd.
»H-Hey«, sagte ich. »T-tut mir leid …«
Aber meine Stimme klang immer noch komisch. Was war nur los mit mir?
Dad fand anscheinend auch, dass meine Stimme komisch klang, denn er sprang sofort auf und stürzte aus dem Zimmer. »Ich hole schnell einen Arzt!«, murmelte er im Rausgehen.
In diesem Moment war ich mir sicher, dass ich irgendetwas sehr, sehr Schlimmes hatte.
Ich war jedoch zu müde, um abzuwarten, bis mir jemand sagte, was es Schlimmes war. Ich war sogar noch müder als morgens immer im Rhetorikkurs und das will wirklich etwas heißen. Wenn ich abends nicht so lange mit Christopher Jour neyquest spielen würde und dann den Rest der Nacht aufbleiben müsste, um meine Hausaufgaben zu erledigen, würde ich morgens wahrscheinlich leichter aus dem Bett kommen, aber so …
Ich wollte wach bleiben. Wirklich. Ich wollte unbedingt erfahren, was mir fehlte und wieso ich im Krankenhaus lag. Außer dem hatte ich solchen Durst …
Aber ich schaffte es einfach nicht, die Augen offen zu halten. Ich beschloss, ein ganz kurzes Nickerchen zu machen, bis mein Vater wiederkam.
Natürlich schlief ich sofort wieder tief und fest ein. Mhmmm, schlafen. Es gab nicht Schöneres.
Mein letzter Gedanke war, dass mir hoffentlich keine Spucke aus dem Mundwinkel lief, wenn mein Vater mit dem Arzt zurückkam, doch dann tröstete ich mich damit, dass die Ärzte in Krankenhäusern wahrscheinlich an sabbernde Leute gewöhnt waren.
Als ich die Augen das nächste Mal aufschlug, war es Tag, und meine Mutter saß in dem Sessel, aus dem mein Vater aufgesprungen war. »Em!«, rief sie.
»Mom«, sagte ich benommen, weil ich noch immer wahnsinnig müde war. »Ich würde heute lieber nicht in die Schule gehen. Ist das okay?«
Zumindest versuchte ich, es zu sagen. Ich weiß aber nicht, ob es das war, was meine Mutter verstand, weil sich das, was aus meinem Mund kam, nicht sonderlich verständlich anhörte.
Statt mich für verrückt zu erklären und mir zu sagen, dass ich natürlich in die Schule gehen müsse, schlug meine Mutter die rechte Hand vor den Mund und begann zu weinen. In diesem Moment fiel mir erst auf, dass wir nicht allein im Zimmer waren. Hinter ihr stand mein Vater und daneben noch ein Mann und eine Frau, die ich noch nie gesehen hatte und die weiße Kittel trugen.
Ich nahm an, dass meine Mutter weinte, weil meine Stimme sich so komisch anhörte. Sie klang irgendwie … keine Ahnung … piepsig.
»Hallo Emerson«, sagte mein Vater ernst. Er hatte Mom eine Hand auf die Schulter gelegt und sah mich mit einem ganz merkwürdigen Blick an … So hatte er mich damals am Pool in dem Hotel in Disney World angesehen, als ich in einer Pfütze ausgerutscht und mit dem Kinn gegen die Kante des Schwimmbeckens geknallt war, aber nicht weinte, weil ich nicht wusste, dass in meinem Kinn eine Riesenwunde klaffte, aus der literweise Blut sprudelte. Ich merkte nichts davon, weil ich ja sowieso am ganzen Körper klitschnass war. »Weißt du …?« Er stockte und räusperte sich. »Weißt du, wer wir sind?«
Okay. Jetzt war mir endgültig klar, dass ich irgendwas wirklich Schlimmes haben musste.
»Natürlich«, sagte ich. »Du bist Daniel Watts und neben dir sitzt deine Frau Karen Rosenthal-Watts.«
Allerdings hatte ich den Eindruck, dass die Wörter ziemlich undeutlich und holperig aus meinem Mund kamen. Ich hatte ganz merkwürdige Artikulationsprobleme.
Plötzlich fing meine Mutter an, laut zu schluchzen, was mich echt erschreckte. So hatte sie noch nie geweint. Noch nicht mal am Ende ihres Lieblingsfilms »Tatsächlich … Liebe«, wo sie jedes Mal heult wie ein Schlosshund.
Ich bin mir auch ziemlich sicher,
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