Ploetzlich Fee 04 - Frühlingsnacht
und wieder andere enthielten Runen und Symbole, bei deren Anblick mir bereits die Augen brannten. Eins der Bücher gab einen markerschütternden Schrei von sich, als ich es berührte, sodass ich hastig die Hand zurückzog. Schließlich stieß ich auf einen kleinen Gedichtband des sterblichen Autors E. E. Cummings. Ich blätterte ein wenig darin herum und blieb an einem meiner Lieblingsgedichte hängen: »Ganz in grün ritt feinsliebchen hatzen«. Mit einem wehmütigen Lächeln nahm ich die Strophen in mich auf und dachte dabei an all die Jagdausflüge, zu denen Ariella und ich aufgebrochen waren, und an ihr abruptes Ende.
Nagende Schuldgefühle packten mich, doch sie waren nicht mehr so schlimm wie zuvor. Ich hatte endlich Klarheit, was meine Gefühle für Ariella und Meghan betraf. Ich würde Ariella immer lieben, und ein Teil von mir sehnte sich nach den vergangenen Zeiten, als Ari, Puck und ich ein Team waren, vor … vor ihrem Tod, meinem Schwur und den Jahrzehnten der Duelle, der Kämpfe und des Blutvergießens. Doch diese Zeiten waren vorbei. Und ich hatte es satt, in der Vergangenheit zu verharren. Wenn ich das hier überlebte, hatte ich die Chance auf eine echte Zukunft.
Trotz dieser Einsicht konnte ich nicht schlafen. Mein Verstand konnte sich so wenig von der Situation lösen wie ein Hund von seinem Knochen, und mein Körper war zu überdreht, um sich zu entspannen. Ich setzte mich ans Fenster und beobachtete die Sterne und die Felsbrocken, die so nah vorbeischwebten, dass ich sie fast berühren konnte. Irgendwann öffnete sich quietschend die Zimmertür und jemand kam herein.
»Klopfst du eigentlich nie an?«, fragte ich Puck, ohne mich umzudrehen. Er schnaubte höhnisch.
»Hi, ich bin Robin Goodfellow. Kennen wir uns?« Er lehnte sich neben mich an den Fensterrahmen, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf das Ende der Welt hinaus. Nach einem Moment des Schweigens schüttelte er fassungslos den Kopf. »Weißt du, wir waren ja schon fast überall und teilweise an echt schrägen Orten, aber das hier hat wohl den Preis für den ›Seltsamsten Landstrich aller Zeiten‹ verdient. Das glaubt uns keiner, wenn wir nach Hause kommen.« Er seufzte schwer und warf mir einen prüfenden Blick zu. »Bist du sicher, dass du der Sache gewachsen bist, Eisbubi?«, fragte er dann. »Ich weiß, du bist der Meinung, du könntest alles schaffen, aber das hier wird echt hart. Und ›Ash, der Irre‹ klingt einfach nicht so gut wie ›Lass-mich-in-Ruhe-sonst-bring-ich-dich-um-Ash‹.«
Ich grinste spöttisch. »Für einen Erzfeind klingst du aber ziemlich besorgt.«
»Pah. Ich habe nur keine Lust, Meghan erklären zu müssen, dass du bei dem Versuch, eine Seele zu erringen, zu Gemüse geworden bist. Ich wüsste nicht, wie das für mich ein gutes Ende nehmen sollte.«
Lächelnd wandte ich mich wieder dem Fenster zu. In einiger Entfernung glitt eine Art gigantischer Mantarochen vorbei, dessen Flossen sich wie Meereswellen kräuselten. »Ich weiß es nicht«, gestand ich leise, während ich zusah, wie das Tier hinter einem Asteroiden verschwand. »Ich weiß nicht, ob ich soweit bin. Aber inzwischen tue ich das hier nicht mehr nur für Meghan.« Ich starrte auf meine Hände. »Ich glaube … das ist meine Bestimmung … falls das irgendeinen Sinn ergibt.«
»Nö, das ist einfach nur irre.« Auf meinen gereizten Blick hin grinste Puck, um seine Worte abzumildern, und hob beschwichtigend die Hände. »Aber wenn du wirklich so empfindest, nur zu! Wenigstens weißt du jetzt, was du willst. Erschien mir sinnvoll, diesbezüglich noch mal nachzuhaken.« Mit einem Grunzen stieß er sich von der Wand ab und klopfte mir im Vorbeigehen auf die Schulter. »Viel Glück, Prinz. Auf mich warten jetzt eine Flasche Pflaumenwein und ein weiches Daunenkissen. Falls du mich brauchst, findest du mich in meinem Zimmer – hoffentlich sturzbetrunken.«
»Puck«, rief ich, bevor er gehen konnte.
In der offenen Tür drehte er sich noch einmal um. »Ja?«
»Falls … falls ich nicht zurückkomme …«
Er nickte knapp. »Ich werde mich um sie kümmern«, versprach er sanft. »Um beide.« Mit einem leisen Klicken zog er die Tür hinter sich zu.
In dieser Nacht schlief ich nicht mehr. Ich blieb am Fenster sitzen, beobachtete die Sterne und dachte an Meghan, Ariella und mich. Ich rief mir all die strahlend schönen Momente mit den beiden ins Gedächtnis zurück … nur für den Fall, dass ich sie niemals wiedersehen würde.
Die erste
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