Ploetzlich Fee 04 - Frühlingsnacht
nicht gesiegt hat. Ich bin gekommen, um diese Schuld einzutreiben.«
»Gnade.«
Der Sterbliche kniete im Schnee. Ein Pfeil hatte seinen Oberschenkel durchbohrt, und sein strahlend rotes, menschliches Blut tropfte aus der Wunde. Zitternd verschränkte er die Hände und streckte sie mir flehend entgegen. In seinen Augen standen Tränen. Ein erbärmlicher Mensch.
»Bitte, Herr des Waldes, bitte, zeigt Gnade. Ich wollte nicht auf Euren Besitz vordringen.«
Ich schenkte ihm ein kaltes Lächeln. »Es ist euch verboten, den Wald zu betreten – deine Leute wissen das genau. Wagt ihr euch auf unser Gebiet, so ist es uns erlaubt, Jagd auf euch zu machen. Sage mir, Mensch, warum sollte ich mich gnädig zeigen?«
»Bitte, hoher Herr! Meine Frau … meine Frau ist sehr krank. Sie … die Geburt macht ihr Probleme. Ich musste die Abkürzung durch den Wald nehmen, um rechtzeitig in die Stadt zum Arzt zu gelangen.«
»Eine schwierige Geburt?« Abschätzend kniff ich die Augen zusammen. »Deine Frau wird tot sein, noch bevor du nach Hause zurückkehrst. Mit dem verletzten Bein wirst du es niemals rechtzeitig schaffen. Indem du unbefugt hierherkamst, hast du sie beide getötet.«
Der Mensch begann zu schluchzen. Der Schein in seiner Aura nahm das dunkle Blau der Verzweiflung an. »Bitte!«, schrie er und schlug mit den Fäusten auf den Schnee ein. »Bitte, verschont sie! Verfahrt mit mir, wie es Euch beliebt, aber rettet meine Frau und mein Kind. Ich würde alles dafür tun, bitte!«
Er sank in sich zusammen, weinte leise und murmelte wieder und wieder das eine Wort – »bitte«. Nachdem ich ihn einen Moment lang beobachtet hatte, seufzte ich gereizt.
»Deine Frau ist verloren«, erklärte ich ihm unverblümt, woraufhin er laut aufstöhnte und das Gesicht in den Händen verbarg. »Sie kann nicht gerettet werden. Dein Kind könnte allerdings noch eine Chance haben. Was gibst du mir dafür, dass ich sein Leben rette?«
»Alles!«, rief der Mann und blickte in feierlichem Ernst zu mir auf. »Nehmt Euch, was Ihr wollt, aber rettet mein Kind!«
»Sprich es aus«, befahl ich ihm. »Sage es laut und deutlich, auf dass die Bäume Zeugen deiner Bitte werden.«
In diesem Moment muss ihm klar geworden sein, was vor sich ging, denn er wurde noch blasser und schluckte schwer. Doch er befeuchtete seine Lippen und sagte mit zittriger, aber lauter Stimme: »Ich, Joseph Macleary, bin bereit, für das Leben meines Kindes alles zu geben.« Wie der schluckte er und sah mich fast schon trotzig an. »Nehmt Euch, was Ihr wollt, selbst mein Leben, solange mein Kind nur unversehrt und gesund aufwachsen kann.«
Lächelnd wartete ich ab, während sich die unsichtbaren Fäden der Magie um uns schlossen und den Handel besiegelten. »Ich werde dich nicht töten, Mensch«, sagte ich dann und trat ein paar Schritte zurück. »Ich habe keinerlei Interesse daran, dir jetzt das Leben zu nehmen.«
Kurz huschte Erleichterung über seine Züge, doch dann wurde sein Blick wieder ängstlich. »Was wollt Ihr dann?«
Immer noch lächelnd machte ich mich unsichtbar und beobachtete, wie der Mensch sich in dem nun scheinbar leeren Wald umsah. Zunächst blieb er verwirrt hocken. Dann sprang er keuchend auf und humpelte in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Er hinterließ eine deutlich sichtbare Blutspur im Schnee. Als ich die Panik spürte, die ihn erfasste, sobald ihm klar wurde, was er da versprochen hatte, lachte ich leise. Er würde es niemals rechtzeitig nach Hause schaffen.
Ich lenkte meine Schritte zu einer kleinen Hütte am Rand des Waldes und blieb dabei weiterhin unsichtbar.
Das Samhain-Fest rückte näher, und am Winterhof wurde es stets mit Geschenken, Gefälligkeiten und Segenswünschen für die Winterkönigin begangen. In diesem Jahr fand Mab besonders viel Gefallen an meinem Geschenk, einem dunkelhaarigen Säugling. Und Rowans Gesichtsausdruck, als ich ihr den kleinen Jungen überreichte, war unvergesslich. Der Junge wuchs unversehrt und gesund am Winterhof auf. Er stellte niemals Fragen zu seiner Herkunft oder seiner Vergangenheit und entwickelte sich zu einem der Lieblingsspielzeuge der Königin. Irgendwann, als er ein wenig älter war und seine Kraft und Schönheit nachzulassen begannen, versetzte Mab ihn in endlosen Schlaf und schloss ihn in Eis ein, damit er auf ewig so erhalten bliebe. Und damit war der Handel, der in der Nacht seiner Geburt geschlossen wurde, erfüllt.
»Genug!«
Abrupt landete ich wieder in der Gegenwart und
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