Ploetzlich Liebe
erwarten.
Schließlich bin ich fertig damit, meine Bücher noch mal
durchzusehen, trete auf den Gang und stoße auch gleich mit jemandem zusammen. »Entschuldigung«, sage ich, während ich mich immer noch am Verschluss meiner Tasche zu schaffen mache.
»Kein Problem.« Die Stimme ist bekannt und ein Hauch Sarkasmus schwingt darin mit.
Mein Kopf zuckt hoch und Ryan steht vor mir, in einem lässigen braunen Kapuzenshirt, und guckt mich mit extremer Ungeduld an.
»Oh, du bist es.«
»Könntest du dich nicht um etwas mehr Begeisterung bemühen? « Er verzieht das Gesicht zu einem kleinen Lächeln. »Mein Ego leidet.«
»Ich glaub nicht, dass dein Ego auch noch auf meine Unterstützung angewiesen ist«, murmele ich, dann wünsche ich, ich könnte es zurücknehmen. Seit ich herausgefunden habe, dass Ryan Morgans andere Hälfte ist, hab ich mich wirklich um Höflichkeit bemüht. Ich mag ja noch nie eine Mitbewohnerin gehabt haben, aber ich nehme mal an, zu den grundlegenden Anforderungen gehört, sich nicht mit ihrem Freund anzulegen.
Mein Kommentar scheint Ryan zu belustigen, er lässt ihn aber durchgehen. »Wir treffen uns um vier, stimmt’s?«
»Stimmt.« Ich habe alles gegeben, um mit dem Umschreiben fertig zu werden, nächste Woche fangen wir schließlich an zu drehen. »Ich habe einen Arbeitsraum in der Bibliothek für uns gebucht.«
Er runzelt die Stirn. »Sollen wir nicht einfach einen Kaffee trinken gehen? Die Bibliothek ist doch tot.«
»Genau. Da können wir uns besser konzentrieren.«
»Egal. Bis dann.« Er schlendert davon und ich frag mich, wie viel weniger begeistert er erst gucken wird, wenn er sich meine Vorschläge anhört.
Als ich zurück zur Wohnung komme, hängt ein Haarband über der Türklinke und ziemlich eindeutiges Stöhnen dringt heraus. Schon wieder. Offenbar hat Morgan eine Vorliebe für Sex in der Mittagspause: besser, Kalorien zu verbrennen, als sie aufzunehmen. Sie zieht es ebenfalls vor, sich nicht auf ihr Zimmer beschränken zu müssen. Also schultere ich meine Tasche wieder und gehe langsam runter auf die Straße. Schlimm genug, dass Ryan zum festen Inventar all meiner Kurse gehört, aber muss er sich auch noch in meinem Privatleben breitmachen? Ich mein, ich weiß ja nicht, was …
Moment mal.
Wie erstarrt bleibe ich auf dem Bürgersteig stehen. Ryan war gerade eben mit mir in der Vorlesung auf dem Hauptcampus. Und ich hab nach einem Powerwalk zur Bushaltestelle sofort einen Bus bekommen, also nicht mal wenn er selbst gefahren wäre, hätte er bis zu meiner Rückkehr Zeit genug gehabt, sich durch den Verkehr zu wühlen und mit Morgan die Hüllen fallen zu lassen.
Sie war gar nicht mit ihm zusammen.
Wahrscheinlich macht mich das zu einem schlechten Menschen, aber bei dem Gedanken streift ein kleines Lächeln mein Gesicht. Ryan tut so, als wüsste er alles. Aber das weiß der Alleswisser nicht. Und ich werde es ihm nicht erzählen.
»Und, wie lautet das Urteil?« Ryan lässt sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen und wirft mir einen argwöhnischen Blick zu. Ganz anders als die Räume mit den knarrenden alten Bücherregalen und dem dunklen Holz bei uns in Raleigh ist dieses Arbeitszimmer hier klein und hell. Ich habe die Kopien von meinem geänderten Skript auf dem Tisch ausgelegt, dazu einfache Notizblöcke, Stifte und eine Flasche Wasser. Alles ist darauf ausgerichtet, diese Sache so kurz und schmerzlos wie möglich über die Bühne zu bringen.
»Lies es doch erst einmal durch, dann reden wir drüber«, schlage ich vor. Ich reiche ihm einen Stapel Seiten, die ich zu einer blauen Mappe habe binden lassen. Vorsichtig hält er sie zwischen Daumen und Zeigefinger, so als wäre sie giftig. Während er liest, gebe ich vor, ein Fachbuch durchzublättern, aber ich muss immer wieder einen schnellen Blick über den Tisch hinweg werfen und versuchen, seine Reaktion abzuschätzen. Er hat einen weiteren Stuhl herangerückt und die Chucks ausgezogen, die Seiten ruhen auf seinen braunen Cordhosen. Ich hatte gedacht, er wäre einer dieser Hüfthosenjungs, oder einer von denen mit den hautengen schwarzen Jeans und den karierten Hemden, aber heute sieht er aus wie ein Oberstreber mit seiner gestreiften Strickweste.
Mit wem Morgan wohl zusammen gewesen ist?
Es zieht sich hin. Schließlich räuspert er sich und ich schaue auf, aber sein Gesicht ist völlig frei von Gefühlsregungen und gibt mir keinen Hinweis darauf, was er denkt. Obwohl ich das gar nicht will, bin ich nervös.
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