Ploetzlich Liebe
mich vor das Objektiv. Ryan schaut auf, funkelt mich wütend an, aber ich lass mich nicht ins Wanken bringen. Ich achte sorgfältig darauf, dass alles gesichert und abgespeichert ist, und stelle die Kamera ab.
»Aber …«
»Du hast die Aufnahme im Kasten«, versichere ich ihm. »Du hast sie mindestens fünfmal im Kasten, wenn nicht öfter.«
Ryan schnaubt irritiert, sein Blick verfinstert sich. »Du kannst nicht einfach …«
»So soll das also laufen?« Ich bleibe standhaft. »Wir haben aber nur ein paar Wochen zum Filmen, keine Ewigkeit.«
Mit finsterer Miene dreht Ryan sich um und fängt an zusammenzupacken.
»Tut mir leid.« Die Worte sind schon raus, ehe ich nachdenken kann, aber ich merke schnell, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Es kann so nicht weitergehen, wir müssen reinen Tisch machen. Ich atme noch mal durch und fahre fort: »Also das, was da mit Morgan passiert ist. Ich wusste Bescheid, na ja, ich wusste, dass sie nicht so ganz ehrlich mit dir war. Und wenn du mich deswegen hasst, versteh ich das.«
Eine Weile schaut Ryan mich nicht an, aber ich warte. Dann endlich stellt er sich ganz gerade hin und schaut mir in die Augen. »Es ist nicht deine Schuld«, sagt er leise. »Ich mein, schließlich sind wir ja nicht befreundet.« Er wirkt erschöpft, so als wollte er nicht daran erinnert werden, was vorgefallen ist. Versteh ich. Weil ich unbedingt von Sebastian wegwollte, hab ich den Atlantik überquert.
»Ja, aber …« Ich will nichts Schlechtes über Morgan sagen, deshalb zucke ich nur mit den Schultern. »Ich würde es wissen wollen. Wenn ich das wäre, dann würde ich alles wissen wollen.« Er nickt langsam, die Sonne leuchtet wie ein Heiligenschein hinter seinem kurz geschorenen Haar. Schließlich weicht die Spannung ein wenig und er kann sich aus seiner starren Haltung lösen. »Okay.« Mit einer Kopfbewegung weist er auf den Wagen, den wir mit der Ausrüstung beladen haben, und ich begreife, dass der Augenblick vorüber ist. » Hilfst du mir, die Sachen wieder in den Materialraum zu bringen?«
Mit vollen Armen folge ich ihm über den Campus, der
immer voller Leute ist. Aber heute war mal wieder ein heißer, sonniger Tag und die Mädchen sind in voller Stärke vertreten, rudelweise liegen sie in ihren winzigen Röcken und auch mal im Bikini auf den Rasenflächen und Bänken, während die Jungs so tun, als würden sie daneben Fußball oder Basketball spielen. Ich denke an Oxford, wo die ordentlichen Rasen bis weit in den Sommer hinein mit Betreten-verboten-Schildern verziert sind und wir über die langen, gepflasterten Wege huschen müssen. Ich lächele.
»Was ist?«, sagt Ryan, der sieht, wie sich meine Miene verändert hat.
Verlegen zucke ich die Achseln. »Nichts. Nur … mir war gar nicht klar, was für einen Unterschied das Wetter machen kann.«
»Echt? Ich dachte, ihr Briten redet nie über was anderes.«
Ich lache. »Ja, über den Unterschied zwischen Regen und Graupel oder Nieseln. Aber hier habt ihr all diesen Sonnenschein … und die Leute scheinen wirklich glücklicher zu sein, das ist alles.«
Ryan wirft mir einen komischen Blick zu, als wir das Kunstgebäude betreten. »Zu viel gutes Wetter ist eine gefährliche Sache. Bleib in Kalifornien, dann wirst du schon sehen, wie ich das meine – manche Leute sind so entspannt, dass es echt schwer ist, irgendwas zustande zu kriegen.«
»Meinst du, die sind noch schlimmer als euer Haufen hier?«, necke ich ihn.
»Du hast ja keine Ahnung.« Er grinst. »Warte mal.« Er fummelt mit den Schlüsseln zum Materialraum herum. »So, hast du alles?«
»Alles notiert.« Ich zeig ihm die Liste, alles abgehakt und nachgeprüft.
Grinsend schüttelt er den Kopf. »Okay, kann sein, dass du mehr rausgehen und in der Sonne liegen solltest.«
»Vielleicht tu ich das«, sage ich und erwäge diese Möglichkeit. Schließlich kann ich genauso gut auf dem Rasen lesen, statt in der Bibliothek.
»Aber komm morgen nicht zu spät«, ruft er mir nach, als ich gehe. »Und fass nie wieder meine Kamera an!«
Tasha
Eine Gruppe von Leuten steht schon vor dem Raum und redet, als ich am Donnerstag zum Treffen der Protestgruppe komme. Die meisten sind so Aktivistentypen mit Dreadlocks und peinlich unmodischen Kifferklamotten, aber sie wirken untereinander alle total entspannt und freundlich. Ich schlängele mich rein und setzte mich nach hinten, dann hol ich was zu lesen aus der Tasche, damit ich nicht so einsam ausseh.
»Hallo, alle
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