Ploetzlich Liebe
zu halten und mich hinter einem Pfeiler zu verstecken. Das fehlte mir gerade noch, als Teil dieser Aktion hier identifiziert zu werden.
Nachdem zehn Minuten lang demonstriert worden ist, nähert sich eine streng dreinblickende Frau vom Empfangstresen her. Sie bleibt einen Moment stehen, beobachtet uns
und geht dann durch die Menge auf Carrie zu. Murmelnd treten die beiden ein Stück zur Seite, die Frau zeigt ihr mehrere getippte Seiten.
»Okay, Leute, Zeit zum Aufbruch«, sagt Carrie, als sie wieder zurückkommt. Die Demonstranten stöhnen. »Wir verstoßen gegen die Statuten der Stadt mit dem, was wir hier tun. Die Polizei ist gerufen worden und wir haben unseren Standpunkt jetzt klargemacht. Kommt.« Die Leute seufzen, fangen aber an zusammenzupacken.
Ich ziehe an meinen Handschellen. Sie geben nicht nach.
»Ich kann nicht«, flüstere ich, mir wird ganz schnell ganz anders.
»Was?« Carrie dreht sich zu mir um.
»Ich hab gesagt, ich kann nicht!« Nun rassele ich mit den Ketten wie verrückt und versuche zu kapieren, wann sie eingeschnappt sind. Die sollten nicht schließen! »Ich kann nicht weg!« Ich gerate in Panik. Die anderen Mädchen gucken zu mir rüber und der Sicherheitsdienst ist schon auf dem Weg zu mir. Aber die bescheuerten Handschellen krallen sich um meine Handgelenke.
»Sie hat recht«, verkündet Carrie plötzlich laut und stößt die Faust in die Luft. »Wir können nicht weggehen! Erst muss der Verwaltungsrat uns angehört haben!«
»Ja!« Die anderen Mädchen fangen an zu grölen und zu johlen.
»Erst wenn den weiblichen Studierenden von Oxford die Einrichtungen gewährt werden, die sie verdient haben!«
Jungejunge. Neben mir ist Carrie voll in Fahrt, aber ich will nur, dass sich der Boden unter mir auftut.
»Erst wenn wir als Gleiche respektiert werden, erst wenn das abgewirtschaftete Patriarchat, das über unsere Zukunft bestimmt, begriffen hat, dass man nicht über uns hinweggehen kann!«
Die Sicherheitsleute drängeln sich durch die Menge und packen uns.
» Lasst das Geländer los«, fordert ein bulliger Wachmann.
»Kann ich nicht.« Entschuldigend zucke ich die Achseln. »Ehrlich.« Ich rassele mit den Ketten, um das zu unterstreichen, während Carrie von einem anderen Wachmann auf die Schulter gehievt und weggeschleppt wird.
»Natasha hat recht«, brüllt sie in die Menge. »Wir können nicht gehen!«
Alle drehen sich um und gucken mich an.
»Natasha! Natasha!«, skandiert DeeDee. Die anderen Mädchen stimmen ein. Ich lasse mich auf den Boden sinken.
»Natasha! Natasha!«
Unsichtbar. Na klar.
Von: totes_tasha
An: EMLewis
Betrifft: Die Sache mit dem Dazugehören …
Anhang: studentendemo.jpg
Eine Vorlesung des namhaften Astrophysikers Brian Lupen wurde gestern auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, nachdem die Vorlesungssäle von einer Gruppe Demonstranten besetzt worden waren, die mit einem Sit-in gegen die bevorstehende Schließung des Frauengesundheitcenters protestieren wollte …
Hey, Em.
Siehst du den brünetten fleck, da hinter der säule? Das bin ich: Die, die sich ans gebäude gekettet hat. Lange geschichte, aber ich glaub, ich muss mich mehr anstrengen, wenn was aus dieser unsichtbarkeitssache werden soll!
Was läuft in Kalifornien?
-t-
Von: EM Lewis
An: totes_tasha
Betrifft: Gut gemacht!
Du hast bei der Demo mitgemacht? Gut! Ich kann mir vorstellen, wie überdreht Carrie und ihre Crew sind, aber das ist auf jeden Fall eine gute Sache. Bei mir scheint alles bestens zu laufen, ich mache eindeutig Fortschritte dabei, eine echte Kalifornierin zu werden. Wahrscheinlich würdest du mich überhaupt nicht wiedererkennen, wenn du mich vorher schon mal gesehen hättest. Blondes Haar, neue Klamotten … Nun muss ich die Dinge vermutlich nur noch lockerer angehen. Das ist nicht leicht, wenn man einen temperamentvollen Künstler zum Studienpartner hat, aber was soll man machen?
Halt mich auf dem Laufenden.
X Em
Emily
Am Freitag Abend um halb zehn steht Carla vor meiner Tür. Sie zieht die Augenbrauen hoch, als sie mich in einem Jogginganzug aus kaugummirosa Velour sieht, dann stakst sie Gummi kauend ins Zimmer.
»Zieh dich an. Wir gehen aus.« Sie wirft einen Blick auf die Episode von America’s Next Top Model, die bei mir läuft, und reicht mir einen kleinen Umschlag. »Und dann kannst du mir erzählen, wie das mit deiner Gehirnwäsche war, aber zuerst: anziehen.«
Ich schiele in den
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