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Ploetzlich Mensch

Ploetzlich Mensch

Titel: Ploetzlich Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary-Anne Raven
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zu weinen.
    „ So da sind wir.“ Deans Stimme riss sie aus ihren schwermütigen Gedanken. Sie blinzelte die Feuchtigkeit aus ihren Augenwinkeln fort und hob erwartungsvoll den Blick. Vor ihnen lag der graue, geteerte Parkplatz eines Supermarktes.
    Verwirrung machte sich in ihr breit. Das konnte nicht sein! Wo war das kleine, gemütliche Fachwerkhaus, das früher hier gestanden hatte?
    Ohne groß darüber nachzudenken , riss sie die Autotür auf und sprang hinaus auf den Bürgersteig. Ihr Blick wanderte über die umli e genden Häuser. Nein, es war kein Irrtum. Dies war wirklich Birkenweg Nr. 8. Das holprige Kopfsteinpflaster, auf dem sie sich als Kind mehr als einmal die Knie aufgeschlagen hatte. Die einfachen, aber doch g e mü t lichen kleinen Wohnhäuser, links und rechts der Straße. Die große, alte Eiche, die am Bach wuchs, und deren unterster Ast gerade niedrig g e nug gewesen war, dass ihre kurzen Arme ihn erreichen konnten. Ihre Finger wanderten über das raue Holz. Ihre Nase sog den Duft von fr i schem Laub ein und das leise P lätschern des Baches klang wie Musik in ihren Ohren. Die Bilder, die sich in ihrem Kopf formten , waren nur vage und verschwommen, doch die Emotionen, die sie damit verband , warm und herzlich.
    Wie oft hatte sie als Kind hier am Wasser gesessen und gespielt. Wie viele schöne Stunden hatte sie hier mit ihrem besten Freund, einem blonden Lockenkopf aus der Nachbarschaft, verbracht? Kaum zu glauben, dass es in ihrem Leben Augenblicke völliger Glückseligkeit gegeben hatte. Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen.
    „ Hey, Clara. Alles in Ordnung?“ Deans kühle Hand strich sanft ihre Wange und stoppte damit die Flut an Emotionen, die sie zu überwält i gen drohten. „Sind wir hier richtig? Oder war es doch eine andere Straße?“ Sie schluckte den Kloß herunter, der noch immer in ihrer Kehle steckte, fuhr noch einmal mit ihren Fingern über das Holz des Baumes und wandte sich dann von ihren Kindheitserinnerungen ab und wieder dem tristen Betonklotz des Supermarktes zu.
    „ Wir sind hier richtig. Es ist noch alles so wie damals. Nur unser Haus steht nicht mehr.“ Verstohlen wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Wahrscheinlich wurde es abgerissen, nachdem niemand mehr da war, der darin wohnte. Aber vielleicht ist das auch gut so. Es gibt nichts mehr, zu dem ich zurückkehren oder das ich vermissen könnte. Ich kann sowieso nicht hier bleiben“, stellte sie bi t ter fest.
    „ Wirklich ’n hässlicher Beton b lock, dieser Supermarkt. Ne Scha n de für die schöne Jegend“, erklang plötzlich eine Stimme, nur wenige M e ter von ihnen entfernt.
    Am grünen Holzzaun zum Nachbargrundstück, das am Bach lag, stand eine ältere Frau und blickte neugierig zu ihnen herüber. Etwas an ihrer Haltung und am Klang ihrer Stimme ließ Clara sofort Vertrauen zu ihr fassen.
    „ Wissen Se, hier stand früher so ’n schönes kleenes Fachwerkhaus. Dass die det für den hässlichen Betonklotz abjerissen haben, kann ich einfach nich verstehen. Aber wissen Se, die Familie, die hier jewohnt hat, is bei dem furchtbaren Unjlück im Tempel des Lichts vor über zehn Jahren umjeekommen und danach hat sich niemand mehr um det Haus jekümmert. Jab wohl keene Verwandten und dann wurd’s halt abjerissen und dieser Supermarkt da hinjeklatscht.“ Die alte Frau schüttelte traurig den Kopf.
    „ Kannten Sie die Familie, die dort wohnte?“, wollte Dean wissen und trat ein paar Schritte näher an den Zaun heran.
    „ Ja, sischer kannte ich die Maibaums. War’n ja schließlisch meine Nachbarn“, erwiderte die alte Frau ein wenig empört. „Nette Leute. Wirklisch nette Leute und die hatten so en süßes kleenes Mädchen. Det kam im Sommer immer zu mir in den Jarten zum Erdbeern essen, wissen Se. Tja, aber dann waren se im Tempel, weil die Kleene immer so krank war, und dann Bum. Alle tot. Ne wirklisch traurijee Jeschic h te.“
    „ Ja, es ist tragisch, was das Leben manchmal mit den nettesten Me n schen macht“, meinte Dean in mitfühlendem Ton. Es erstaunte Clara immer wieder, wie gut er seinen Charme anknipsen konnte, wenn er wollte.
    „ Und es gab keine Verwandten oder gute Freunde , die sich nach di e sem Unglück um die Hinterlassenschaften der Familie gekümmert h a ben?“, forschte Dean weiter. Die alte Dame sah ihn skeptisch an. O f fenbar verwunderte sie seine Neugierde. Das blieb ihm nicht verbo r gen, weswegen er sofort hinzufügte: „Wissen Sie, wir schreiben ein Buch über

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