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Ploetzlich Mensch

Ploetzlich Mensch

Titel: Ploetzlich Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary-Anne Raven
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ankamen. Also ließ sie sich in ihrem Sitz zurücksinken und schloss die Augen.
     
    Wimmern, Heulen und das markerschütternde Schreien, das nur gewalt i ge Schmerzen hervorbrachte n , erfüllte den Raum und vermischte sich zu e i ner Sinfonie der Grausamkeit. Der Geruch von Blut lag in der Luft. Überall ve r streut Schutt und Asche und dazwischen rote, deformierte Leiber, in denen nur hier und da noch etwas Leben steckte. Er spürte ihre Angst. Er spürte ihre Schmerzen. Er sog ihre gewaltigen, unbändigen Emotionen in sich auf. Genoss ihren süßen Geschmack. Immer auf der Suche nach dem nächsten Opfer. Sie sollten leiden. Sie alle! Sie soll t en die gleichen Schme r zen erdu l den, wie er.
    Er spürte ein weiteres Wesen in seiner Nähe. Klein, zerbrechlich. Mit grimmiger Vorfreude wandte er sich in ihre Richtung. Glitt lautlos auf sie zu. Er spürte die unbändige Angst, die sie verströmte. Hörte ihre leise g e flüsterten Worte, die Gebete gen Himmel schickten.
    Auch sie würde sterben. Sie alle würden sterben.
    Jetzt war er über ihr, streckte seine brennenden Finger nach ihr aus. Doch plötzlich hielt ihn etwas zurück, sein Leib wollte nicht mehr seinen Befehlen gehorchen. Etwas riss an ihm und zog ihn hinein in den Körper des zerbrechlichen Wesens, das er gerade töten wollte.
    Selige Dunkelheit umfing seinen brennenden Körper und ließ die unbä n digen Schmerzen, die ihm diese Welt bereitete, langsam verebben.
    N un war er ein Gefangener, unfähig sich selbst zu befreien.
    Doch was machte das schon? Dieses Gefängnis war zerbrechlich und würde nicht ewig leben. Und er konnte warten.
     
    Mit einem Schrei auf den Lippen fuhr Clara aus dem Schlaf hoch. Da war er wieder, dieser furchtbare Traum! Das dumpfe Brennen in ihrer Brust schien ihr die Luft abzuschnüren. Sie atmete mehrmals tief ein und versuchte ihren rasenden Puls zu beruhigen. „… würde nicht ewig leben …“ , echoten die Worte düster drohend in ihrem Kopf.
    „ Du bist wieder wach?“ Deans Stimme war wie Balsam auf ihren g e reizten Nerven.
    „ Wo sind wir?“
    „ Fast da“, erwiderte er und deutete zum Fenster hinaus. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und warf einen neugierigen Blick durch die Windschutzscheibe. Sie fuhren eine schmale Serpentinenstraße hinab. Vor ihnen lag ein weitläufiges Tal, in das sich die schlichten Häuser eines kleinen Dorfes schmiegten.
    „ Das ist Blixen?“
    „ Laut Karte ja. Erkennst du es denn nicht wieder?“
    „ Es ist schon so lange her.“
    Sie passierten das Ortsschild und Dean lenkte den Wagen in gemäc h lichem Tempo die breite Hauptstraße entlang.
    Er musste auch müde sein von der langen Fahrt. Doch sie sah keine Anzeichen davon in seinem Gesicht, das von einer feinen Zeichnung war und doch eine gewisse männliche Herbheit aufwies. Die dunklen Brauen betonten den durchdringenden Blick seiner eisblauen Augen, denen bestimmt schon so manche Frau erlegen war, und die durch ihre leicht spitz zulaufende Form seinem Gesicht etwas Fuchsartiges verli e hen. Sein kurzes braunes Haar, das sich an den Enden leicht wellte, hatte zudem im Sonnenlicht einen rötlichen Schimmer, der es wie Kupfer glänzen ließ. Das war ihr bereits am Ufer des Sees aufgefallen, als sie so nah beieinander im Gras gelegen hatten. Sie seufzte leise bei dem Gedanken daran. Am liebsten hätte sie ihre Hand ausgestreckt, um zu fühlen, wie weich sein Haar war.
    „ In welcher Straße habt ihr denn gewohnt?“, wollte Dean wissen und für einen kurzen Moment traf sich sein fragender Blick mit dem ihren.
    „ Birkenweg acht“, kam die Antwort aus ihrem Mund, bevor sie überhaupt darüber nachdenken konnte.
    „ Das scheint ja noch gut in deinem Kopf verankert zu sein“, b e merkte Dean lachend. „Dann wollen wir mal schauen, wie es heute dort aussieht.“
    Gebannt betrachtete sie die an ihnen vorbeiziehenden Häuserreihen. Je näher sie dem Birkenweg kamen, desto vertrauter erschien ihr alles und ein seltsames Gefühl von Rührseligkeit machte sich in ihr breit. Es fiel ihr schwer, sich an ihre Kindheit zu erinnern. Es waren nur bruc h stückhafte Bilder, die sich in ihrem Kopf wiederfanden. Sie war oft krank gewesen und hatte viel Zeit im Bett verbracht. Doch allein die Tatsache, dass es ein Leben vor dem Tempel gegeben hatte, ein Leben, in dem sie ein freier Mensch gewesen war, umgeben von einer Familie, die sie liebte, trieb ihr plötzlich die Tränen in die Augen und sie musste sich zusammenreißen, um nicht

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