Ploetzlich Mensch
Vergeltung?“
Clara schluckte. Natürlich gab es einen Teil in ihr, der sich gern bei Saphira für all die Geringschätzung gerächt hätte, die sie über all die Jahre von ihr hatte erfahren dürfen. Aber nicht so. Sie sah Saphira mit finsterem Blick an und für einen Augenblick glaubte sie, so etwas wie Angst in den kalten grünen Augen aufflackern zu sehen. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Es bringt nichts, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Davon bekomme ich meine Kindheit nicht zurück. Lass uns einfach fortgehen und nicht mehr zurückschauen.“
„ Solange sie am Leben sind, werden sie dich nie in Ruhe lassen“, stellte Dean fest. „Es wäre für mich ein Leichtes, ihr hier und jetzt das Herz herauszureißen, und du hättest für immer Ruhe.“
„ Es wird immer andere geben, die in ihre Fußstapfen treten“, sagte Clara bitter. „So war es schon immer. Schlägst du dieser Schlange den Kopf ab, wachsen zehn noch grässlichere dafür nach.“
Dean seufzte, offensichtlich enttäuscht, doch er schien sich mit ihren Argumenten zufriedenzugeben. „Wie du meinst. Hier wird in Kürze sowieso alles in Flammen stehen. Geben wir ihr also eine faire Cha n ce.“ Er kicherte vergnügt , und ehe Clara sich recht versah, hatte er S a phira zu einem der kunstvoll geschwungenen Kerzenhalter an der Wand gezerrt und das massive Metall, als wäre es aus Butter, so um ihr rechtes Handgelenk gebogen, dass sie sich nicht mehr daraus befreien konnte. Zufrieden betrachtete er sein Werk.
„ Was soll das, du Ungetüm?“, fuhr Saphira ihn an. „Glaubst du, die Tempeldiener könnten mich nicht aus deinen albernen Fesseln befre i en? Ich muss nur um Hilfe rufen und sofort werden sie mich hier he r ausholen.“
Dean gab erneut dieses teuflisch klingende Kichern von sich, das Clara eine Gänsehaut bereitete. Dann beugte er sich so weit vor, dass sein Mund an Saphiras Ohr lag, und sagte laut genug, dass Clara es noch verstehen konnte: „Schrei, so viel du willst, Rotschopf. Ich bin gespannt, wer kommen wird, um dir zu helfen. Dummerweise ist nä m lich in eurer kleinen Folterkammer im Keller ein Feuer ausgebrochen. Deine tapferen Tempeldiener werden genug damit zu tun haben, ihr eigenes Leben in Sicherheit zu bringen.“
„ Du Bastard“, fauchte Saphira und plötzlich blitzte ein Dolch in ihrer linken Hand auf. Die Klinge ritzte nur leicht über Deans Arm, bevor er sie zu fassen bekam und sofort ihren Fingern entwand.
„ Du kleines, garstiges Miststück“, sagte er, während der Dolch kli r rend zu Boden fiel. „Wie schön, dass ich dir aus eigener Erfahrung s a gen kann, dass der Tod durch Verbrennen sehr lang und schmerzhaft sein kann.“
Clara, die die ganze Szene stumm verfolgte, ging in die Knie, um den kunstvoll gearbeiteten Dolch aufzuheben. Nachdenklich wog sie die glänzende Klinge in ihrer Hand. Aus der Entfernung drangen nun laute Rufe an ihr Ohr. Jemand schrie Feuer und der Geruch von Rauch lag in der Luft. Offenbar stimmte es, was Dean über den Brand in der Fo l terkammer gesagt hatte. Eine Folterkammer in einem Tempel des Lichts. Clara war nicht wirklich erstaunt, dass so etwas existierte, und doch schockierte sie dieses Wissen zutiefst.
Was hatten sie ihm dort angetan? Wenn Grisom, dieser Sadist, dabei gewesen war, konnten es nur furchtbare Grausamkeiten gewesen sein. Kein Wunder, dass Dean so voller Rachsucht und Wut war. Sie hob den Blick von dem Messer in ihrer Hand zu Saphira. Der rothaarigen Priesterin wurde jetzt, wo tatsächlich Rauch in den Flur drang, offe n bar klar, in welcher misslichen Lage sie sich befand. Sie zerrte an ihrer gefesselten Hand, doch das verbogene Metall hielt sie eisern gefangen.
Wie oft hatte diese Hand auf ihrer Stirn gelegen und den Weg für S a phiras brutale Geistesverschmelzung geebnet? Bei wie vielen Leuten hatte sie ihre brutale Fähigkeit ohne Gnade angewendet? Wie hatte sie jede Berührung dieser eiskalten Frau gehasst. Aber war ihr Hass groß genug, um ihr den Tod in den Flammen zu wünschen?
Wieder wanderte Claras Blick zu der Klinge in ihrer Hand. Samoels Worte kamen ihr in den Sinn, die so treffend den Zynismus ihres ‚L e bens‘ im Tempel widerspiegelten: „Niemand zwingt dich , diese Bürde zu tragen. Du kannst jederzeit gehen, wenn du bereit bist, die Kons e quenzen dafür zu tragen.“ Sie rang eine Weile mit sich. Dann traf sie ihre Entscheidung.
Sie wurde innerlich ganz ruhig, trat zwei Schritte vor und drückte der überraschten Saphira den
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