Plötzlich Prinz - Das Erbe der Feen
vertraute Stimme. Wir zuckten zusammen und sahen uns hektisch um. »Ethan? Seid ihr das?«
»Annwyl?« Kenzie drehte suchend den Kopf hin und her, während Razor auf ihre Schulter hüpfte. »Wo bist du?«
»Hier.« Ihre Antwort war so leise, als würde sie durch eine Wand gedämpft. Ich suchte die Höhle ab und entdeckte ganz hinten in einer Ecke eine Holztür, die im Halbdunkel kaum auszumachen war. Sie war mit einer dicken Holzlatte verbarrikadiert. Schnell liefen wir rüber, schoben den Balken weg und zogen an der Tür. Widerstrebend und laut quietschend öffnete sie sich und gab den Weg frei.
Kenzie keuchte entsetzt. An der Decke des Raums hingen zahllose Käfige – anscheinend aus Bronze oder Kupfer gefertigt –, die an dicken Ketten befestigt waren. Ächzend pendelten die engen, zylindrischen Gefängnisse in der Luft. Darin war kaum genug Platz, um sich umzudrehen. Sie waren alle leer, bis auf einen.
In einem der Käfige kauerte Annwyl, sie hatte die Knie angezogen und umklammerte sie mit den Armen. Es gab hier nur eine einzige Fackel, die am anderen Ende des Raums in einer Wandhalterung steckte, aber trotzdem war unverkennbar, wie bleich und krank die Sommerfee aussah. Kraftlos hob sie den Kopf, und ihre Augen weiteten sich.
»Ethan«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. »Kenzie. Ihr seid wirklich hier. Wie … wie habt ihr mich gefunden?«
»Das erklären wir dir später«, versprach Kenzie und packte wütend die Gitterstangen, die sie von Annwyl trennten. Razor summte aufgebracht, sprang auf den Käfig und rüttelte an der Aufhängung. »Jetzt holen wir dich erst mal hier raus. Wo sind die Schlüssel?«
Mit dem Kinn deutete Annwyl auf einen Holzbalken, an dem ein bronzener Schlüsselbund hing. Nachdem wir den Käfig geöffnet hatten, halfen wir ihr, zu uns herunterzuklettern. Kraftlos stolperte das Sommermädchen aus ihrem Gefängnis heraus und musste sich dabei schwer auf mich stützen. Wahrscheinlich hatten die Vergessenen ihr fast die gesamte Magie geraubt. Sie wirkte so dünn und zerbrechlich wie ein Bündel trockener Zweige.
»Gibt es hier noch jemanden?«, fragte ich, während sie ein paar Mal tief durchatmete, als hätte sie schon lange keine saubere Luft mehr gespürt. Annwyl zitterte, schüttelte aber den Kopf.
»Nein«, hauchte sie. »Nur mich.« Sie zeigte auf die leeren Käfige, die noch immer schwankend an der Decke hingen. »Als sie mich hergebracht haben, waren hier noch andere Gefangene. Alles Exilanten wie ich. Ein Satyr und ein paar Waldnymphen. Ein Kobold. Aber … aber dann wurden sie von den Wachen geholt. Und sie sind nie zurückgekommen. Ich war mir sicher, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis sie … mich auch zu ihr bringen.«
»Zur Herrin«, murmelte ich finster. Wieder zitterte Annwyl krampfhaft.
»Sie … sie frisst sie«, flüsterte sie mit geschlossenen Augen. »Sie entzieht ihnen die Magie, saugt sie in sich auf, genau wie ihr Gefolge … bis nichts mehr übrig bleibt. Deswegen sind so viele Exilanten verschwunden. Sie braucht einen ständigen Nachschub an Magie, um wieder zu erstarken, zumindest haben das ihre Anhänger gesagt. Also ziehen sie jede Nacht los, fangen Exilanten und Halbblüter und schleppen sie hierher, zu ihr.«
»Wo ist Keirran?«, fragte ich und hielt sie auf Armeslänge von mir weg. »Hast du ihn gesehen?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Er ist … bei ihr «, flüsterte sie unter Tränen. »Ich mache mir solche Sorgen … Was, wenn sie ihm etwas angetan hat?« Sie schlug die Hand vors Gesicht. »Was soll ich denn tun ohne ihn?«
»Meister!« Von Kenzies Schulter aus schrie Razor sein Leid heraus und zerrte sich an den Ohren. »Meister ist weg!«
Ich seufzte schwer und versuchte trotz der schrillen Klagelaute des Gremlins nachzudenken. »Okay«, murmelte ich schließlich und wandte mich an Kenzie. »Wir müssen Todd und die anderen hier rausschaffen. Erinnerst du dich noch an den Weg, auf dem sie uns reingebracht haben?«
Kenzie fuhr zusammen und versuchte krampfhaft, die kleine Eiserne Fee zu beruhigen. »So ungefähr. Aber in der großen Höhle wimmelt es von Vergessenen. Wir werden uns den Weg freikämpfen müssen.«
Annwyl richtete sich auf und holte tief Luft. »Wartet«, sagte sie. Offenbar riss sie sich bewusst zusammen, denn ihre Stimme klang schon wieder fester. »Es gibt noch einen anderen Weg. Ich spüre die Steige an diesem Ort, und einer von ihnen führt zu einer Brücke in der Welt der Sterblichen.
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