Plötzlich Royal
kicherten ein paar der Anwesenden pubertär und die Inderin tat so, als hätte sie es nicht verstanden. Mich nervten der Spruch und Kerns vulgäre Art.
„Simon und ich freuen uns sehr, die angelsächsische Kultur und das Empire kennenzulernen. Es ist, als ob eine sehr gute, spannende Blu-ray mit vielen Extras vor einem liegt, und man hat nun endlich die Zeit und das Vergnügen, sie zu erforschen. Vielen Dank und guten Appetit.“
Die Presse war nun so höflich, das Restaurant zu räumen. Wir beiden frisch Vermählten und auch andere Gäste konnten nun in Ruhe den Lunch einnehmen. Danach bummelte Mann mit Mann auf die Straße hinaus. Ich wunderte mich, dass tatsächlich niemand vom Sicherheitsdienst zu sehen war, doch wir betrachteten das als Freiraum. Montagnachmittag tummelten sich hier vor allem Touristen, vielleicht würde es also erst am Abend interessant werden. An einem Automaten kauften wir uns eine Fahrkarte für die U-Bahn und besuchten die bekannten Sehenswürdigkeiten, darunter auch den Tower, wo wir vom Kronjuwelier persönlich die Staatsinsignien gezeigt bekamen. Es hatte schon seine Vorteile, wenn man eine einstellige Nummer in der Thronfolge war.
„Man wird die Krone eines Tages an Ihre Kopfgröße anpassen, Hoheit“, versicherte der Juwelier halb im Scherz, halb ernst. Ich fühlte bei dem Gedanken ein kräftiges Stechen im Bauch.
Später bummelten wir am Parlament vorbei. Für Führungen hätten wir uns als Gruppe anmelden müssen. Doch auch da half es, wenn man sich als Nummer zwei zu erkennen gab.
Simon und ich hielten auch auf der Straße tapfer Händchen. Manche schauten schon seltsam beim Anblick des gleichgeschlechtlichen, händchenhaltenden Paares. Mich schmerzte es aber mehr, dass uns trotz der Menschenmenge kein anderes, offensichtlich schwules Paar begegnete, doch das war in Zürich nicht anders. Etwa eine Stunde lang hielten wir die „Schau, Schwule“-Gafferei durch. Danach gingen wir wie Kollegen weiter. Kurz nach achtzehn Uhr kehrten wir in die Old Compton Street zurück. So gigantisch ging hier noch nicht die Post ab, es war ja Montag. Immerhin konnte man hier, ohne schräg angesehen zu werden, wieder Händchen halten.
Wir setzten uns vor einen Schnellimbiss mit Fish & Chips. Nun beobachteten wir die Passanten und fühlten uns ganz wie einfache Touristen. Etwas enttäuscht war ich schon: So schwul, wie ich gedacht hatte, war die Old Compton Street gar nicht. Simon meinte, die Zahl der Schwulen hätte gegenüber dem Mittag zugenommen. Vielleicht hatte ich nicht so einen guten Radar wie er.
Weil es Schulter an Schulter so gemütlich und der Sommerabend unbritisch schön war und die Sonne nicht untergehen wollte, gönnten wir uns ein Ale und noch ein zweites. So gegen neun erhielt ich eine elterliche SMS. In Schanghai musste wohl sehr früher Morgen sein.
Ich tippte nur kurz zurück: „Alles klar, Hotel Turing, Termin mit Queen morgen Nachmittag. Hab euch lieb, Gruß an Schanghai!“
„Du bist ’ne bigotte, rückständige Kuh!“, schrie plötzlich ein hochgeschossener, rothaariger dünner Emo auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er starrte fassungslos sein Handy an und rief: „Scheiße!“ Das Telefon flog an die nächste Wand und zersplitterte. Simon reagierte zuerst, schoss von seinem Stuhl hoch und lief zu der Bohnenstange in schwarzen, sehr engen Jeans. Ich musste erst noch das Ale bezahlen, der Kellner hatte schon mit großen Augen geguckt. Drüben heulte der Junge bereits auf Simons Schulter und der Idiot vor mir kam nicht mit dem Kreditkartenleser klar. Ich musste ihm Noten und Münzen mit der Queen darauf herauszählen. Anderthalb Pfund fehlten jedoch am Ende. Gegen einen Zehneuroschein Trinkgeld war er jedoch bereit, darüber hinwegzusehen.
Endlich war ich drüben bei den beiden. Es brauchte keine langen Erklärungen, der Junge war zu Hause rausgeflogen.
„Was ist passiert?“, fragte der wie aus dem Nichts aufgetauchte Jack Kern hämisch. Ich fragte mich, ob der wirklich ein Mensch oder womöglich ein irischer Kobold sei, der plötzlich überall erscheinen konnte, um die Leute mit seinen derben Scherzen zu ärgern.
„Nach was sieht’s wohl aus?“, erregte sich Simon über die Nachspioniererei. Doch der an Beleidigungen gewohnte Sensationsjournalist dachte nicht daran zu verschwinden.
„Wie heißt du? Rausgeflogen?“, fragte der Kobold.
„Timm. Meine Mutter meint, sie werde sich nicht einen krummen Buckel ackern für das Schulgeld eines
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