Plötzlich Royal
gab sich vor allem die Anglikanische Kirche unbeweglich, verneinte gar die Notwendigkeit einer Reform. Dennoch arbeiteten Tories, Labour und Liberals ihre Vorschläge einer Revision des Act of Settlement aus, eine Einigung vor den Wahlen im Jahr 2010 war jedoch nicht möglich.
Simon und ich hatten mit dem Studium genug zu tun und verfolgten die Debatte im fernen Großbritannien nur oberflächlich. Die heftigen Briefe und E-Mails, die bei mir eingingen, nahmen jedoch zu. Der Evangelical Sentinel hatte mit seinem Skandal erreicht, dass ich zu einem der Hauptfeindbilder der rechtsreligiösen Extremisten wurde. Deshalb begleitete uns oft ein Bodyguard diskret bis in die Hörsäle der ETH. Beim Ausgang in die Szene schüttelten wir unsere Bewachung dann manchmal ab.
Trotz dieser Bewachung ließen es Simon und ich uns nicht nehmen, zum CSD in Zürich zu gehen und dazu auch Timm einzuladen. Der war inzwischen bei einer Menschenrechtsorganisation untergekommen. In deren Auftrag reiste er zu einer verbotenen Demonstration für Homosexuellenrechte in Moskau. Simon und ich durfte ja nicht mehr. Mein Teil bestand lediglich darin, die britische Botschaft vorzuwarnen und die Unkosten zu übernehmen.
Gelegentlich kreuzten Reporter und Fernsehteams auf, um das Leben der Nummer zwei in der britischen Thronfolge zu dokumentieren. Papi hatte offenbar recht, wenn er meinte, meine Schwester und ich seien noch längst nicht aus der Sache raus und ich solle mich besser früher als später meiner Verantwortung stellen, vorerst als Thronfolger, später wohl als Bruder der zukünftigen Königin.
Kronprinz auf Abruf
In den letzten Tagen hatten wir wenig geschlafen. Das Schreiben der Diplomarbeiten war zum Wettrennen gegen den Abgabetermin geworden. Doch Simon und ich hatten sie heute eingereicht und der jeweilige Assistent hatte uns beiden versichert, sie würde von meinem Professor und Simons Professorin bestimmt nicht abgelehnt, auch wenn die Erkenntnisse darin nicht gerade bahnbrechend seien. Damit war das Erteilen des Master of Science nur noch eine Formsache, die aber noch über die Ferien dauern würde. Die Studentenzeit war zu Ende und damit auch die Freiheit, als Turnschuh-Jeansboys zu leben. Am Abend ließen wir uns müde, aber glücklich in die Polstergruppe fallen. Einen Plan, wie unser Leben nun weitergehen sollte, hatten wir nicht. Der Durchschnitt unserer Diplomzeugnisse lag bei „gut“. Also weder herausragend gut noch herausragend schlecht, auf jeden Fall aber knapp zu wenig, um eine Assistentenstelle bei den führenden Professoren der ETH zu ergattern.
In London wurde währenddessen tatsächlich versucht, eine Revision des Act of Settlement zu bewerkstelligen. Da alle damit rechneten, dass diese Reform kommen und meine Schwester eines Tages auf dem Thron sitzen würde, hielt sich das Paparazzi-Interesse an uns in Grenzen. Wir waren zwei schwule Studenten, die auch mal gern ausgingen, das ließ sich nicht ewig als Story verkaufen. Die Paare Kate und William sowie Carmen und Leopold gaben da wesentlich mehr Herz und Schmerz für die Hausfrauen her oder wer auch immer Boulevardblätter wie die Daily World las.
Gordon Brown selbst war es nicht gelungen, seine Vorstellung von einer Revision des Thronfolgegesetzes und der künftigen Rolle der Royals im Staat durchzusetzen. So sollte nun nach den kürzlich abgehaltenen Parlamentswahlen von 2010 der etwas Royal-freundlichere Gegenvorschlag seines Kontrahenten David Cramer schnell durch beide Kammern gehen.
Papi hatte mir und Simon angeboten, bei seiner Firma Burgo-Invest einzusteigen. Das war eine Möglichkeit. Doch jetzt und hier auf dem Sofa hatten wir keine Lust, über die Zukunft nachzudenken. Das Telefon störte unsere Zweisamkeit. Mühsam überwand ich meine Trägheit und angelte nach dem Schnurlosen, das auf dem Tischchen lag. Ich schreckte etwas auf, als sich die Dame am anderen Ende als Assistentin des neuen Premiers Cramer vorstellte und mich gleich zu ihm durchstellte.
„Mr Premierminister, Sir?“, meldete ich mich wohl einen Tick zu unterwürfig. Aber immerhin, der Mann hatte sich bis zur mächtigsten Position in Großbritannien hochgekämpft. Auch wenn ich nicht auf seiner politischen Linie war, diese Leistung musste man respektieren.
„Eure Königliche Hoheit Prince Sascha? Ist das die korrekte Anrede?“
„Prince Sascha ist okay. Sie rufen wohl an, um mir mitzuteilen, dass ich aus der direkten Erbfolge geflogen bin?“
„Haben Sie denn keine
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