Plötzlich Royal
Gesellschaftspolitik und nicht irgendwelche viktorianischen Schlossgespenster! Ist das klar?“, zischte er im Flüsterton Sir Geoffrey zu.
Vielleicht könnte ich mich doch an Cramer gewöhnen. Sir Geoffrey blickte Cramer an, als stünde der Teufel selbst vor ihm. Der vor Ärger rötlich angelaufene Premier deutete zu meiner kichernden, in einem gewagten Abendkleid etwas zu viel Champagner schlürfenden Schwester und blickte dann wieder finster den Sir an.
„Schauen Sie lieber, dass Prinzessin Carmen heute nur noch Orangensaft trinkt. Wenn die beim Bankett unter den Tisch fällt, werde ich die Dame höchstselbst aus der Thronfolge schmeißen. Gibt es noch Fragen, Sir Geoffrey?“
Der wie Frau Lot aus der Bibel scheinbar zur Salzsäule erstarrte Sir sah sich außerstande zu antworten, und so führte uns Cramer in den Salon, setzte wieder sein Wahlkampfgrinsen auf und wir begrüßten zuerst meine beiden Großonkel Prince Andrew und Prince Charles und danach Prince William mit Kate Middleton. Danach auch die bayerische CSU, vertreten durch den Herzog von Schwanstein mit Gattin. Leopold hatte sich mit Carmen dezent davonbewegt, so dass die beiden eine Begegnung mit Simon und mir vermeiden konnten. Wenn meine Schwester inzwischen zu vornehm war, um mit uns beiden Schwulen wenigstens ein paar Sätze Smalltalk zu wechseln, dann hatte ich ihr eben auch nichts zu sagen. Sie hatte mich in letzter Zeit schon spüren lassen, ich sei nur ihr unmöglicher Bruder.
Wir drifteten durch den Salon, ohne ernsthaft mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Für die alteingesessenen Royals waren wir einfach Gäste. Ein oder zwei Sätze über das Wetter in der Schweiz, und Simon gab man sowieso nur kurz die Hand. Als Obama schließlich aufkreuzte, waren alle damit beschäftigt, sich in eine möglichst gute Position zu bringen, um dem Präsidenten „ganz zufällig“ zu begegnen. Simon und ich verzichteten auf das Spiel, setzten uns abseits auf eine bestimmt sehr wertvolle Couch und schauten zu, wie Carmen, Cramer und alle anderen um den Präsidenten herumtanzten, als wäre er der König. Auch Großvater gesellte sich bald zu diesem Pulk.
Beim Bankett setzte man uns beide an einen unauffälligen Ort an der langen Tafel hin, zwischen Sir Wilfried und Gattin, das britischste aller Ehepaare, wie die Presse die beiden nannte, und einem Diplomaten aus Obamas Stab. Immerhin redete der Sir mit mir. Simon war sehr still, da er glaubte, der Diplomat neben ihm habe keine Lust, mit einem Schwulen zu reden, und hielt sich pedantisch genau an die Tischregeln. Die Hoffotografen schossen mindestens ebenso viele Bilder von Carmen und Leopold wie von Michelle und Barack Obama, de facto hatte sich also der Hof bereits darauf eingestellt, dass in ein paar Tagen Carmen offiziell die Rolle der Thronfolgerin einnehmen und ich nur noch der unmögliche Bruder, mit dem die Prinzessin gestraft war, sein würde.
Die Tischrede meines Großvaters war peinlich nichtssagend, die Antwortrede von Obama perfekt unverbindlich. Auch die vielen Anekdoten, die Sir Wilfried mir erzählte, wurden nach und nach langweiliger. Simon zeigte während des Essens in etwa den gleichen finster-konzentrierten Gesichtsausdruck wie bei den Diplomprüfungen. Ich verstand ihn. Sie sollten wenigstens nicht sagen können, wir hätten Tischmanieren wie die Barbaren. Leopold hingegen hätte problemlos bei den Wilden mithalten können, doch er war ja hetero und ihm sah man die schlechten Manieren nach.
Viel später durften wir endlich zurück in unsere Suite, konnten die kratzenden Smokings ausziehen, kurz duschen und dann in die durch ein Nachttischchen getrennten Betten schlüpfen.
Als es dunkel war, hörte ich Simon leise schniefen.
„Noch die Parade morgen und dann fliegen wir zurück in die Schweiz“, tröstete ich ihn.
„Das hier ist die Hölle“, flüsterte er kaum hörbar.
Ich griff im Dunkeln zum Telefon. Wählen brauchte ich nicht; nach fünf Sekunden wurde man automatisch mit dem Zimmerservice – oder wie auch immer man das hier nannte – verbunden. Ich bestellte das Frühstück aufs Zimmer und verlangte für morgen Kleidung, die sich mit meiner Allergie und mit meinem Alter vertragen würden. Simon und ich hätten eine Wolle-Allergie, was in meinem Fall nicht gelogen war. Die Rötung im Schritt war ziemlich schmerzhaft. Es sei mir egal, was Sir Geoffrey, die Earls Amble und Binnester oder der Premier dazu meinten, und es sei kein Problem, wenn es von der Stange sei.
Der
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