Plötzlich Royal
nicht zur Tageszeit, doch mehr hätte ich im Moment sowieso nicht hinunterbekommen. Mein Ururgroßvater George VI. war fast daran zerbrochen, als er nach der Abdankung Edwards VIII. auch überraschend König wurde. Diese Belastung hat angeblich den Lungenkrebs begünstigt, an dem er schließlich starb. Der Gedanke daran war nicht sonderlich beruhigend.
Mr Grant kam zurück und blieb im Mittelgang stehen, deutete eine kleine Verbeugung an und meldete, der Stab des Premiers werde sich um eine Lösung bemühen. Ich bat ihn, sich wieder zu setzen, und er legte mir eine Fotokopie der Bill of Royalty 2010 vor.
„Am Krönungseid im Parlament wird ebenfalls noch gearbeitet. Danach ist geplant, die Bill of Royalty zu unterzeichnen.“
„Dann ist ab heute Nachmittag seine Mutter Königin?“, fragte Simon und legte besonders viel Schottisch in seine Aussprache. Einen Moment irritierte Mr Grant der Akzent, doch er fing sich schnell wieder. Er erklärte Simon, dass seit gestern Abend die Thronfolge ab mir gerechnet werde und ich ja bereits der Souverän sei und es nach Artikel 8, Absatz C der Übergangsbestimmungen auch bleibe.
„Wir möchten wie ein Ehepaar behandelt werden. Wird das klappen?“, wechselte ich abrupt das Thema. Im Moment interessierte mich sein Vortrag über die Paragrafen nicht sonderlich. Er beantwortete meine Frage nur mit einem wenig überzeugten „Gewiss“. Ich vermutete, dass darüber hinter den Kulissen auch noch gestritten wurde. In London musste das reine Chaos herrschen. Dafür ging hier die pedantische Bürokratie weiter. Ich sollte ein Dokument unterschreiben, das es der Familie Windsor weiterhin erlaubte, in den Schlössern der Krone zu verkehren. Ich wunderte mich, dass dies keine Selbstverständlichkeit war, und wollte schon den Stift ansetzen. Aber wie sollte ich unter „His Majesty, Alexander IV.“ unterscheiben? Ich wagte ein freches „King Sascha“. Mr Grant hob kurz die Mundwinkel, aber insistierte nicht. Also war für mich diese Unterschrift beschlossene Sache. Ich verwendete sie nun auch auf dem nächsten Dokument, das mir der Sekretär vorlegte. Darin musste ich mir selbst die nachträgliche Erlaubnis erteilen, mit Simon eine Civil Union eingehen zu dürfen, und dass dieser mit Genehmigung meiner Regierung ab sofort den Titel Prince Consort tragen dürfe.
Mr Grant entschuldigte sich, er wolle sich telefonisch nach dem aktuellen Stand in London erkundigen. Ich lernte nun den Eid für den Tower auswendig, was angesichts der antiquierten und komplizierten Formulierungen nicht ganz einfach war. So lang war er zum Glück nicht. Mir fiel es nicht leicht, mich zu konzentrieren. Bei den gelegentlichen Fernsehauftritten als Vorzeige-Schwuler hatte ich nie ernsthaft Lampenfieber gehabt. Doch als die Triebwerke leiser wurden und wir in eine Wolkenschicht sanken, kroch es langsam, aber stetig in mir hoch. Ich musste mir eingestehen, das Königshaus zu lange nicht ernst genommen zu haben, und nun traf es mich unvorbereitet. Die Szene aus The Queen , als die Monarchin den frisch gewählten Tony Blair mit der Regierungsbildung beauftragte, gelangte vor mein inneres Auge. Welch surrealer Gedanke, dass ich nun diese Pflicht übernehmen sollte und eines Tages der Nachfolger von David Cramer vor mir knien würde.
„Wir landen in fünfzehn Minuten“, kündigte Mr Grant leicht gebeugt im Mittelgang an. Diese Information verstärkte nur noch meine Anspannung. Genau das hatte an derselben Stelle der Privatsekretär in The Queen gesagt. Würde man eines Tages auch über die Ereignisse dieser Tage einen Film drehen? Ich überlegte mir, dass ich dann wohl eine Randfigur wäre. Das mysteriöse Attentat auf meinen Großvater George würde man bestimmt ins Zentrum rücken und mich als Nachfolger in den Hintergrund stellen, so wie man in The Queen die Prinzen William und Harry nur als Statisten sah. So könnte der Regisseur darüber hinweggehen, dass ich schwul war. Meine Gedanken wanderten unruhig hin und her, doch das harte Aufsetzen des Flugzeugs rief mich in die Realität zurück.
Krönung light
Wir rollten zu einem roten Teppich. Ich konnte den südafrikanischen Sicherheitsmann John erkennen, David Cramer und auch Earl Binnester, der als Lord Chamberlain mein oberster Haushofmeister sein würde, den Lord Major von London und der Earl of Dorincourt als Vertreter des Ascension Councils. Einige trugen in schwarzen Anzügen, andere, wie Earl of Dorincourt, waren mit traditionellen Roben bis hin zum
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