Plötzlich Royal
Botschafter aus Jamaika, Saudi-Arabien und ähnlichen Ländern möchten eben kein Foto mit einem homosexuellen Paar, das in ihrer heimatlichen Presse als Kniefall vor westlicher Dekadenz gedeutet werden könnte, so lautet die Sprachregelung in Jamaika und ähnlich kritisch eingestellten Staaten.“
„Einverstanden. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hat sich auch darauf verständigen müssen, seinen Mann nicht in homophobe Länder mitzunehmen. Trotzdem werde ich mir vorbehalten, bei schweren Strafen gegen Homosexuelle nicht zu schweigen, sondern meine Missbilligung diplomatisch, aber unmissverständlich öffentlich zu machen“, ergänzte ich laut.
„Gut zu hören, dass die Lösung des Premiers Ihre Zustimmung findet, Majestät“, meinte Earl Binnester. „Beim zweiten Punkt würde ich Ihnen vorschlagen, von Fall zu Fall individuell in Rücksprache mit der Außenministerin zu entscheiden.“
„Morgennachmittag werden wir den Anlass einüben“, kündigte der Marshal of the Diplomatic Corps an, „es sollte jedoch nicht zu kompliziert sein. Wir werden ausnahmslos einen Frack tragen, versteht sich, dann bin ich durch.“
Einen Moment wartete alles gespannt auf meine Reaktion zur Ankündigung des Fracks. Doch da sie zur Erleichterung der Gentlemen ausblieb, trat Earl Binnester wieder ans Pult und übergab gleich an Mr Grant. Der referierte über ein Sonderbudget von zwei Millionen Pfund, welches das Kabinett einmalig freigegeben habe, um den Übergang in die Alexandrinische Epoche – also in die Regentschaft des neuen Königs – zu erleichtern. Als Erstes beauftrage man ein externes PR-Büro, das Erfahrung im Promoten jüngerer Persönlichkeiten habe. Zwei junge Leute des einundzwanzigsten Jahrhunderts müssten anders auftreten, als es noch die Queen tat. Wie genau, sollte das PR-Büro analysieren.
Danach folgten Details über die Kunstsammlung und dass man vorschlage, die Öffnungszeiten für Besucher außerhalb der Touristensaison auszuweiten, was etwas Häme auslöste, da dem Kurator offen unterstellt wurde, die Gunst der Stunde auszunutzen, um diesen von Großvater George bereits abgelehnten Vorschlag erneut vorzubringen. Grant meinte jedoch, dass diese Einnahmequelle an Bedeutung gewinne, denn der Trend gehe eher zu Budgetkürzungen als -aufstockungen.
Endlich durfte ich zurück ins Büro. Vor dem Lunch mit den Gentlemen blieb mir noch eine halbe Stunde Zeit für die persönlichen E-Mails. Der Blick auf queer.de war Pflicht beim Öffnen des Internetbrowsers. Es waren jedoch wie morgens üblich keine neuen Nachrichten online.
„Was haben wir eigentlich normalerweise so zu tun?“, fragte Simon.
„Die Pinguine werden sich melden, keine Sorge.“
Nach der Beantwortung von Mails alter Freunde schaute ich dann in meine Palast-Mailbox. Die Tagesagenda befand sich darin sowie die Ankündigung, Earl Amble, Binnesters Vorgänger, sei Gast beim Fünfuhrtee. Ich bestätigte mit einem Zweizeiler. Ich hatte keine Ahnung, wie man als König mailte.
In den queer.de-Kommentaren hatte das Interesse an Timm nachgelassen. Norbert Geis von der CSU zog gerade einmal mehr den Zorn der Szene auf sich, da er das schwule Paar auf dem englischen Thron als bedenkliches Signal für traditionelle Ehe- und Familienwerte bezeichnet hatte und damit wohl auch die FDP treffen wollte. Auch sonst schien die Online-Presse andere Sorgen zu haben, als unseren nächtlichen Ausflug groß aufzumachen. Die britische Königsfamilie hatten wohl lang genug die Schlagzeilen beherrscht.
Der Lunch mit den Departement-Vorstehern verlief unspektakulär. Der Nachmittag begann mit einer Besprechung in unserem Büro mit Ms Pearce, der für die Publikums-Post zuständigen Mitarbeiterin von Mr Grant. Die bis oben zugeknöpfte grauhaarige Ms Pearce, die den Titel Lady in Waiting trug, besaß den Charme einer Nanny aus der viktorianischen Epoche und war wohl als Strafe für unseren Ausflug in Jeansjacken gedacht.
Jedenfalls setzte sich unsere Post-Nanny verklemmt auf einen Stuhl des Konferenztischs uns gegenüber und richtete ihren Notizblock parallel zur Tischkante aus.
„Wir empfangen durchschnittlich 112 Briefe und 316 E-Mails pro Tag. In den letzten Tagen ist das Aufkommen um 211,3 Prozent gestiegen. Selbstverständlich ist es Eurer Majestät und Seiner Hoheit nicht zumutbar, das alles zu lesen. Deshalb gibt es verschiedene Kategorien, denen wir seit der Queen bestimmte Farben zuordnen und die Post mit Leucht- oder Filzstift
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