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Plötzlich Royal

Plötzlich Royal

Titel: Plötzlich Royal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Brodbeck
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U-Bahn-Treppen rauf und runter und rauf und runter …

Die königliche Bürokratie
    „Kurz ruht das Haupt, das eine Krone drückt“ oder so ähnlich hatte schon Shakespeare in Heinrich IV. gedichtet. Ich glaubte erst, irgendwo in der Ferne pfeife ein Teekessel in verschiedenen Tonlagen. Dann wurde ich vollständig wach. Der Film The Queen hatte nicht gelogen. Da legte einer voll auf dem Dudelsack los. Ich stellte den Wecker auf 5.55 Uhr. Etwas dagegen sagen, traute ich mich nicht, denn Simon stammte ja väterlicherseits aus Schottland. Doch aus 5.55 Uhr wurde nichts. Es klopfte kurz und Butler Fletcher trat in unser Zimmer.
    „Guten Morgen, Sire“, wünschte er mit tiefer britischer Stimme. Er legte ein paar Zeitungen auf das Tischchen und ging zum Fenster. „Sire, Hoheit, darf ich die Vorhänge zurückziehen?“ Ich hielt es für möglich, dass mich das Personal verkohlen wollte, indem es genau die Szene aus The Queen nachspielte.
    „Guten Morgen, ist mein Ausflug von gestern Abend ein Thema in der Presse?“ Im Film lautete die Frage der Queen ja auch so ähnlich.
    „Nein, Sire, in den Zeitungen, die den Weg in den Palast finden, ist davon nichts zu lesen. Mr Cramers Budgetkürzungen sind das Thema und die finanzielle Lage Irlands.“
    „Was ist?“, murmelte Simon neben mir, tief vergraben unter der Decke.
    „Ein neuer Tag, Eure Hoheit“, rief Butler Fletcher und zog ein Kleiderstangen-Wägelchen in unsere Suite. „Das Einverständnis Eurer Hoheit vorausgesetzt und mit Genehmigung des Lord Chamberlain und des Master of the Household hat die königliche Schneiderei versucht, Eurer Majestät Neigung zu jugendlich-sportlicher Kleidung mit den Traditionen eines angemessenen königlichen Auftretens in Einklang zu bringen. Die Schneider schlagen für Ihre Alltagsarbeit eine extra angefertigte schwarze Hose aus Jeansstoff im Schnitt einer Anzughose vor, ohne Ösen, dazu ein weißes Hemd und ein blaues Windsor-Sakko mit passender Krawatte, die wir bei gewöhnlicher Büroarbeit auch mal weglegen dürfen. Echte Bluejeans und dergleichen seien nur in ausgesprochenen Freizeitsituationen denkbar, lässt der Vorsteher des Hausbetriebs mitteilen.“
    Die Empfehlung des Butlers schien doch sehr verbindlich zu sein, und ich widersprach nicht, zumal mir dieser Kompromiss für einen normalen Arbeitstag, der keine besonders hohen Gäste vorsah, sinnvoll erschien. Das Frühstück um sieben nahmen wir mit dem höher gestellten Hauspersonal ein, und Simon ließ dabei die Bemerkung fallen, dass wir nach dem Fünfuhrtee jeweils etwas Sportliches machen wollten. Nach dem Frühstück war Büroarbeit angesagt, bevor dann im Thomas-Cook-Saal ein größeres Briefing stattfinden würde. Simon erinnerte sich an unser Findelkind und vielleicht war nun ein Zeitfenster, um nach ihm zu sehen.
    Wir trafen Timm in einem Aufenthaltsraum des Personals an. Er kaute an Toast mit Marmelade und trank Fruchtsaft direkt aus dem Karton. Wir drückten uns zur Begrüßung. Timm sah schon sehr durchgeknallt aus: die zwei Ringe in der Unterlippe, schwarzer Kapuzenpullover mit pinkfarbenen Ringen am Ärmel und voller Emo-Haarschnitt, der das Haar bis auf die Schultern fallen ließ, nur waren seine Haare rot und nicht schwarz, das Gesicht geschminkt wie Bill Kaulitz, dazu eine extrem enge Hose, so dass er nach Magersucht aussah, einen pink schillernden Gürtel und darüber einen Nietengürtel, den er auf den Po hängen ließ. Nur die roten, hohen Sneakers waren wie die Haare nicht ganz nach Emo-Vorschrift. Er strahlte eine rebellische Freiheit aus, die ich wohl nicht mehr hatte. Wir nahmen ihn in die Mitte und er antwortete mit einem scheuen, bezaubernden Lächeln.
    „Hat man dir schon eine kleine Arbeit zugewiesen?“, fragte ich ihn fast flüsternd.
    „Der Gärtner kommt um neun. Total viele Zweige sind runtergekommen. Da helfe ich, die von deinen Wegen wegzumachen“, antwortete Timm und seine langen Finger verhedderten sich mit Simons.
    „Ehrlich, wie geht’s dir?“, fragte ich und schob ihm vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht, die auf dem Marmeladentoast zu landen drohte, das er gerade essen wollte.
    „Es ist eben krass, wenn du nicht nach Hause zurückgehen kannst.“ Er wurde traurig.
    „Jetzt bist du ja mal hier. Verdienst ein paar Pence, fasst wieder etwas Mut und vielleicht beruhigen sich die Leute bei deiner Menschenrechtsorganisation wieder. Da hat bei der Polizei einer überreagiert nach dem Attentat auf König George. Du wirst

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