Ploetzlich Shakespeare
durch, rannte zu Niels und schubste ihn von der Rutsche. Der Junge knallte mit dem Kinn auf den Metallrand der Rutsche. Er blutete und weinte. Und ich bekam von den anderen Spielplatzkindern Standing Ovations.
Der Verrückte kam näher, mit Mordlust in den Augen. Ich rannte los, mit Beinen, die zwar in Strumpfhosen steckten, aber - wie ich erfreut feststellte - ziemlich schnell laufen konnten. So schnell konnte ich noch nie zuvor rennen, nicht mal als Jugendliche, als ich noch regelmäßig Sport trieb. Anscheinend hatte ich muskulösere Beine bekommen. Ob die auch so dicht behaart waren wie die Arme? Ob das alles etwas mit der ausgebeulten Hose zu tun hatte?
«NICHT DARÜBER NACHDENKEN!», rief ich mir selber zu.
Ich sprang von den Holzplanken herunter auf den sandigen Boden und lief vorbei an einem jungen geschminkten Kerl in altertümlichen Frauenkleidern. (Waren die hier alle schwul?) Neben ihm stand ein sehr dicker Mann, der bunter gekleidet war als Elton John. (Jetzt war es gewiss, die waren alle schwul.)
Vermutlich war es dieser Dicke gewesen, der mir zuvor mit tiefer Stimme zugerufen hatte, dass ich mich zur Seite rollen sollte. Das machte ihn einwandfrei zu dem sympathischsten Menschen hier im Raum... Saal... wo auch immer ich war.
Ich suchte krampfhaft nach einem Ausgang aus diesem merkwürdigen Gebäude, sah ein großes Holztor und wollte darauf zu rennen.
«Bleib stehen!», rief mir der irre Schwertkämpfer hinterher.
So sehe ich aus, dachte ich mir.
«Bleib stehen!», rief er nochmal, noch lauter und noch aggressiver.
Ich lief auf das Tor zu, ohne mich auch nur einmal umzudrehen. Das Tor war nicht geschlossen, nur angelehnt. Ich hatte keine Ahnung, was für eine Welt wohl dahinter liegen mochte, aber sie war hoffentlich weniger gewalttätig.
«BLEIB STEHEN!», hörte ich erneut.
Meine Hand ging schon zum Tor, um den Spalt zu öffnen und zu entkommen, da hörte ich einen Schuss. Es klang wie ein Dynamitböller zu Silvester. Neben mir zerbarst ein Teil des Tores, und es stank nach verbranntem Holz. Der Typ hatte geschossen. Wirklich geschossen! Wenn das hier, wie Prospero sagte, ein früheres Leben war, erschien mir mein echtes plötzlich ungemein attraktiv.
Ich zitterte am ganzen Leib. Langsam drehte ich mich um und sah, dass der Kerl mit einer altertümlichen Pistole auf mich zielte, die ebenfalls aussah wie ein Requisit aus einem Piratenfilm. Wenn der mich jetzt erschoss, konnte ich nur beten, dass es nicht wehtun würde und dass mein Geist in meinem Körper, der gemütlich im Zirkuswagen lag, vielleicht doch nicht starb, obwohl Prospero mich eindringlich davor gewarnt hatte. Falls mein Geist aber doch seinen Geist aufgab, dann würde ich wohl den Rest meines Lebens sabbernd und Windeln tragend verbringen.
Doch was sollte ich machen? In Filmen hatte der Held in solchen Fällen meistens eine geniale Idee, wie er dem Schurken die Waffe wieder entwendet, zum Beispiel, indem er ihn mit cleveren Reden verwirrt. So wie James Bond, der den potenziellen Weltherrscher gerne mal höflich darauf aufmerksam machte, dass er gerade mit dessen Freundin geschlafen hatte. Und diese ihm von der Impotenz des Möchtegern-Weltherrschers berichtet hatte. Doch die Einzige, die hier gerade verwirrt war, war ich.
Der Dicke in der Elton-John-Weste nahm ein Holzbrett in die Hand. Er wollte es meinem potenziellen Mörder überbraten.
«Schön, sehr gute Idee!», dachte ich wenig pazifistisch. Wenigstens einer hier war auf meiner Seite.
Leider traten ein paar Männer in besonders edlen Strumpfhosen auf den Dicken zu. Sie gehörten ganz offensichtlich zu dem Irren, sagten aber nichts und bedrohten ihn nur finster mit ihren Schwertern. Der Dicke ließ daraufhin resigniert das Holzbrett fallen, es knallte laut auf den Boden. Danach sah er tieftraurig zu mir, er wollte mich ganz offensichtlich nicht verlieren. Ich bedeutete ihm anscheinend sehr viel. Und wenn er homosexuell aussah und ich Armhaare und eine ausgebeulte Strumpfhose hatte, war ich dann vielleicht sein...?
NICHT DARÜBER NACHDENKEN!!!!
Der Irre zielte nun erneut auf mich. Jeden Augenblick würde er abdrücken. Seine Hand war nun ganz ruhig, er wirkte auf einmal extrem kaltblütig. Man konnte fast den Eindruck bekommen, dass er schon sehr viele Menschen auf dem Gewissen hatte - sicherlich hatte das etwas mit seinem gestörten Mutterverhältnis zu tun.
Ich musste ihn ablenken, irgendetwas tun, um Zeit zu gewinnen, und so sagte ich das Erste, was mir in
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