Ploetzlich Shakespeare
kein großer Kratzer, aber aus der Wunde sprudelte das Blut wie aus einer kleinen Quelle. Meine Strategie schien nicht aufzugehen. Ich sah zu Kempe, dessen Augen ebenfalls wenig Zuversicht ausstrahlten. Es schien, als ob mein Tod nun unweigerlich käme, und er würde schmerzhaft werden. Mein Gott, wie ich mir wünschte, dass jemand anderes an meiner Stelle wäre.
13
Prospero hielt mir das Pendel entgegen und erklärte: «Richtige Rückführungen verlaufen ganz anders als in der Manege.»
«Und wie?», fragte ich, obwohl ich am liebsten abhauen wollte, denn meine Neugier war ebenso groß wie meine Angst.
«In Ruhe. Der Zeitreisende liegt und verfällt in eine Art Schlaf. Dann bleibt er die ganze Zeit entspannt liegen», erwiderte Prospero.
«Schlaf?», fragte ich nach.
«Der dauert hier in unserer Zeit nicht lange, nur wenige Stunden. Aber manche Reisende haben in der Rückführung in diesen wenigen Stunden in der Vergangenheit ein ganzes Leben durchlebt.»
«Ein ganzes Leben?»
«Es kommt ihnen vor, als ob sie Jahre oder gar Jahrzehnte in der Vergangenheit verbringen. Ich selbst lebte fünf Jahre als Krieger bei Ablai Khan. Dabei hatte ich nur zwei Stunden in Trance verbracht.»
«Na, da bekommen die Leute ja etwas für ihr Geld», spottete ich, obwohl meine Knie leicht zitterten.
«Ich nehme kein Geld.»
«Was denn dann, Wertmarken?»
«Es ist meine Mission, den Menschen zu helfen», erwiderte Prospero und hielt mir nun sein goldenes Pendel hin: «Schauen Sie auf dieses Pendel.»
«Das ist jetzt nicht Ihr Ernst», lachte ich nervös auf.
«Schauen Sie auf dieses Pendel.»
Ich wollte wegsehen, aber es schwang so schön. Und Prosperos tiefe Stimme klang so angenehm: «Schauen Sie auf dieses Pendel...»
«Ihre Frau Mutter kann durch ihre bloße Anwesenheit Männern die Fruchtbarkeit rauben!» Meine Versuche, Drake zu provozieren, wurden immer verzweifelter. Doch mit einem Male fielen mir die Augen zu.
«So ist es gut... immer mit dem Blick folgen...», säuselte Prospero.
Das Pendel schwang regelmäßig hin und her, ich wurde innerlich ganz ruhig und dachte bei mir: «Eigentlich gar nicht so schlecht, so ein Pendel, schön entspannend.»
«Was ist das größte Problem in Ihrem Leben?», fragte Prospero.
«Es ist die Liebe ...», antwortete ich entspannt und setzte mich auf seine Pritsche.
«Das ist bei den meisten Menschen der Fall. Das liegt daran, dass sie nicht wissen, was wahre Liebe bedeutet.»
Mir fielen langsam die Augenlider zu. Eine unglaubliche Müdigkeit überkam mich.
Es war, als hätte mir jemand einen Schlaftrunk eingeflößt. Ich stammelte noch: «Sicher kann Ihre Mutter mit Ihrem Antlitz auch Schafe kastrieren...»
«Jetzt legen Sie sich hin», flüsterte Prospero.
Ich war nun völlig tiefenentspannt und legte mich auf den Rücken.
«Denken Sie an nichts mehr.»
«Hmm... an nichts denken ... klingt attraktiv ...», lächelte ich und schloss vollends die Lider.
Mir wurde endgültig schwarz vor Augen, gleich würde ich durch Drakes Schwert sterben. Mein vorletzter, sehnsüchtiger Gedanke galt meinen Kindern: Susanna ... Judith ... Hamnet ... und mein letzter Gedanke galt der Liebe meines Lebens ... Anne... meiner wundervollen Anne...
«Sie werden jetzt in die Vergangenheit reisen», hörte ich Prospero nur noch aus der Ferne. «Aber ich muss Sie warnen. Es wird eine gefährliche Reise, und wenn Sie in der Vergangenheit sterben, wird hier in der Gegenwart Ihr Geist sterben. Also seien Sie vorsichtig.»
Wäre ich nicht so tiefenentspannt gewesen, hätte mir dies ganz schön Angst eingejagt.
Und schließlich hörte ich Prospero noch ganz leise als Letztes sagen: «Sie werden erst wieder aufwachen, wenn Sie herausgefunden haben, was die wahre Liebe ist.»
14
Das Erste, was ich als Nächstes hörte, war: «Meine Mutter kastriert keine Schafe!!»
Das Erste, was ich sah, war ein wütender Mann mit Schnurrbart, der über mir stand - anscheinend lag ich vor ihm auf dem Boden. Ich erkannte, dass er Strumpfhosen trug, und unwillkürlich schoss mir durch den Kopf: «Schwul. Oder Balletttänzer. Höchstwahrscheinlich beides.»
Das Erste, was ich fühlte, war Schmerz. Mein Unterarm tat weh, er brannte fürchterlich. Ich blickte instinktiv hin, sah, dass ich eine Art weites Hemd trug - es erinnerte an die Piratenhemden aus - und dass dieses Hemd aufgerissen war. Oder nein, es war eher aufgeschlitzt. An der Stelle des Schlitzes war das
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