Ploetzlich Shakespeare
den Sinn kam: «Haben Sie es schon mal mit Therapie versucht?»
Der Irre sah mich befremdet an, und mir fiel ein, dass es wohl noch etwas dauern würde, bis man die Psychiatercouch erfinden würde.
Dennoch hatte ich ihn mit dieser Frage vom Abdrücken abgehalten, und ich musste weitermachen, wollte ich meine Überlebenschancen erhöhen: «Ich meine, haben Sie schon mal darüber nachgedacht, mit jemandem über Ihre Mutter-Kastrations-Probleme zu reden?»
«ICH HABE KEINE KASTRATIONSPROBLEME MIT MEINER MUTTER!»
«Deswegen schreien Sie ja auch so», erwiderte ich ganz ruhig.
Der Irre fühlte sich sichtlich ertappt und senkte leicht die Pistole. Jetzt galt es dranzubleiben: «Ihre Mutter war sicherlich streng zu Ihnen, hat Sie wohl nie umarmt...»
«Das stimmt nicht!», widersprach er nun heftig. «Sie hat mich ganz oft umarmt. Immer. Ich durfte sogar bei ihr im Bett schlafen!»
Die Männer des Irren kicherten hinter seinem Rücken. Er begann sich dafür zu schämen. So einfühlsam wie möglich redete ich auf ihn ein: «Das ist doch gar nicht peinlich, wenn man als Junge bei seiner Mutter schlafen darf.»
«Wirklich nicht?», fragte er unsicher und senkte nun seine Waffe ganz. Es schien zu klappen. Er brauchte nur etwas Zuspruch.
«Es ist ganz normal», säuselte ich, und seine Gesichtszüge wurden nun ganz weich. «Und es ist sogar sehr gesund für die Seele eines Kindes.»
«Ja?»
«Ganz bestimmt!», bestätigte ich.
«Auch wenn der Junge bereits siebzehn Jahre alt ist?»
Seine Männer brüllten nun vor Lachen.
Den Irren verletzte das sichtlich. Er sah sie zornig an, und sie hörten schlagartig auf. Dann drehte er sich wieder wütend zu mir. Ich begann zu stammeln: «Nun... mit siebzehn mag das dem ein oder anderen ... sagen wir vielleicht... etwas ... ungewöhnlich erscheinen, aber...»
«Du willst mich lächerlich machen!», schrie er nun und richtete seine Pistole auf mich. Jetzt würde er gleich schießen. Ich atmete durch, versuchte mich zu beruhigen: Vielleicht hatte Prospero ja geschwindelt, und das Ganze würde mir doch nichts ausmachen, vielleicht würde ich gar nicht mit einem Hirntod im Pflegeheim enden, sondern einfach wieder mit gesundem Verstand im Zirkuswagen aufwachen. Und dann würde ich Prospero sein Pendel dorthin schieben, wo es nicht mehr schwingen konnte.
Der Finger des Irren am Abzug zog sich zusammen, ganz langsam, geradezu genüsslich. Der junge Mann in den Frauenkleidern begann laut zu schluchzen und rief: «Will... Will... Will...»Was immer er damit auch sagen wollte.
Mein Trip in die Vergangenheit - oder mein irrer Hypnosetraum - würde so schnell zu Ende gehen, wie er begonnen hatte, und er würde vermutlich tödlich enden. Mein Herz schrumpfte zu einem kleinen ängstlichen Klumpen zusammen.
Da hörte ich, dass das Tor hinter mir aufging. Es traf mich genau im Kreuz, und ich fiel fast zu Boden. Dahinter hörte ich energische Schritte und eine Männerstimme: «Was ist hier los?»
Ich öffnete die Augen und sah, dass der Irre von der Unterbrechung nicht begeistert war:«Walsingham, was machen Sie denn hier?»
«Ich bin gekommen, um den Stückeschreiber zu holen», erklärte der ältere Mann, der einen Vollbart hatte, einen hohen schwarzen Hut trug und um den Hals eine große weiße Krause, die wohl ein hohes Amt kennzeichnen sollte. Der Alte hatte die Ausstrahlung von jemandem, der es nicht gewohnt war, dass ihm jemand widersprach. Vermutlich überlebte auch niemand, der ihm widersprach. Er hatte nämlich Soldaten dabei, die Helme und leichte Hemdrüstungen aus Metall trugen und den Anschein erweckten, dass sie alles tun würden, was dieser Mann von ihnen verlangte: kämpfen, sterben, Lambada tanzen...
«Der Stückeschreiber muss sterben», protestierte der Irre, den der Halskrausenkerl genannt hatte, und ich kombinierte schnell, wer von uns Anwesenden wohl der Stückeschreiber sein musste. Und dass er für mich den männlichen Artikel «der» benutzte, bestätigte all meine Befürchtungen.
«Die Queen will ihn sehen», erklärte die Halskrause.
Die Queen, da dachte ich natürlich zuerst an die kleine Frau, die Charles den Weg zum Thron durch beharrliche Langlebigkeit verbaut. Aber natürlich würde das hier eine andere Herrscherin sein. Keine Ahnung, welche, aber anscheinend war ich in England gelandet und, den Rüstungen nach zu urteilen, irgendwann vor langer Zeit.
Das Ganze hier war leider viel zu konkret und konsistent, um einfach nur ein Wahntraum zu
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