Leben treten.» Mann, die Menschen in dieser Zeit hatten anscheinend nicht nur ein Faible für derbe Schimpfworte, sondern auch einen Hang zur Theatralik. «Sie, lieber Shakespeare, werden Essex mit Ihrem wunderbaren Gespür für Sprache helfen. Schreiben Sie für ihn Liebesbriefe. Schreiben Sie für ihn Liebesgedichte. Schreiben Sie für ihn Liebeslieder... Machen Sie, was Ihnen einfällt, wichtig ist nur, dass Sie ihm helfen, Marias Herz zu erobern.» «Damit er dann glücklich verliebt die Iren abschlachtet.» «Exakt. Muss ich noch erwähnen, was mit Ihnen passieren wird, wenn Sie versagen?», fragte die Queen. Ich erinnerte mich an den Henker und erwiderte: «Nein danke, mein Magen ist schon flau.» Die Queen nickte, ging zum Bett und schob nun den seidenen Vorhang beiseite: «Darf ich vorstellen, der Earl of Essex.» Bei dem Anblick des vor sich hin schnarchenden Mannes bekam ich Atemnot. Mir wurde schwindelig. Und das nicht, weil er so viel Alkohol ausdünstete, dass man damit Schlachtvieh hätte betäuben können. Nein, mir wurde aus einem ganz anderen Grund schummerig: Der Earl sah fast genauso aus wie Jan.
19 Die Ähnlichkeit mit Jan war wirklich verblüffend, nur die Haare des Earls waren schulterlang wie die von einem Beatle in der Drogen-Experimentier-Phase. Aber das Irritierendste, das Verblüffendste, das Aufwühlendste war: Er sah so aus wie Jan an dem Tag, an dem wir uns kennengelernt hatten. An dem wir uns verliebt hatten. An dem wir uns zum ersten Mal geküsst hatten. Und an dem unser erstes Mal war. Nachdem ich Jan das Leben gerettet hatte, lud er mich noch im Boot der Rettungswache zu einer kleinen zwanglosen Strandparty für den gleichen Abend ein. Ich solle doch einfach in das Haus seiner Eltern in Kampen kommen. Ich war unglaublich aufgeregt, als ich mich in Holgis Zelt für die Party umzog, daher bat ich meinen Kumpel, dass er mich in das Land der Reichen nach Kampen begleitet. Doch er wollte nicht, weil er einen netten spanischen Aushilfskellner im Restaurant kennengelernt hatte, der - laut Holgi - beeindruckende Kastagnetten hatte. Ich zog mir ein Top, ein paar Sandalen und meine beste kurze Hose an und fuhr also ganz alleine nach Kampen. Das Haus von Jans Eltern war groß und sehr schön. Mit dem Geld, das es gekostet hatte, konnte man sicherlich den ein oder anderen afrikanischen Staat entschulden. Sofort nach meiner Ankunft stellte ich fest, dass die Leute auf der Feier unter etwas anderes zu verstehen schienen als ich. Während ich in meinen besten Alltagsklamotten dastand, trugen die Frauen edle Designer-Sommerkleider und die Männer teure Marken-Shirts. Ich hatte mich nur einmal in meinem Leben so deplatziert gefühlt. Damals, als ich nackt im Linienbus saß. Und das hatte ich glücklicherweise nur geträumt. Die Strandparty aber war leider real. Ich wollte eigentlich sofort abhauen, doch da begrüßte mich Jan: «Da ist ja meine Lebensretterin.» Er führte mich auf die Terrasse, die direkt zum Strand führte, und verköstigte mich mit Champagner und gegrillten Edel-Scampis. Dinge, an die man sich durchaus gewöhnen konnte. Seine Freunde blickten mich zwar etwas pikiert an, als ich nach Ketchup fragte, aber im Großen und Ganzen waren sie mir gegenüber nicht überheblich, denn ich hatte ja ihren Freund vor dem Ertrinken bewahrt. Olivia, die damals schon wie die perfekte Frau für Jan aussah, bedankte sich ganz herzlich und erklärte: «Du hast einem ganz besonderen Mann das Leben gerettet.» Als Konkurrenz nahm sie mich in diesem Augenblick nicht wahr, es kam ihr gar nicht in den Sinn, dass jemand wie Jan sich für jemanden wie mich interessieren könnte. Auch ich hielt dies zu diesem Zeitpunkt für unwahrscheinlich. Der DJ eröffnete die Tanzfläche, spielte