Ploetzlich Shakespeare
auch immer gutgetan, wenn Jan mir gesagt hatte, wie schön er mich fand. Umso schmerzhafter war es, dass er es jetzt Olivia erzählte.
«Was reden denn die Leute in Wuppertal so über mich?», fragte ich, begierig zu erfahren, wie mein Ruf durch die Welt hallte.
Ich überlegte kurz, was ich antworten sollte, und kam zu dem Schluss, dass mir Shakespeare höchstwahrscheinlich wohlgesinnter sein würde, wenn ich ihm schmeichelte.
Daher antwortete ich: «Man ist begeistert von Ihren Stücken. »
«Von welchen Werken denn im Besonderen?»
«...», nannte ich das einzige Stück, das ich von ihm in der Schule durchgenommen hatte.
« habe ich doch noch gar nicht vollendet», erwiderte ich verblüfft.
«Nun ... ähem ... der Ruf eilt dem Stück bereits vor der Vollendung voraus», beeilte ich mich zu sagen.
«Zu Recht, es wird gewiss eine wunderbare Komödie.»
«Ähem... Komödie?», fragte ich schwer erstaunt.
«Sie handelt von einem Dänen, der sich nicht entscheiden kann», erklärte ich. «Geht Hamlet zum Beispiel in einen Pub, fragt er sich: , und will er was essen, überlegt ersieh: (Schwein oder nicht Schwein)...»
Da war Shakespeare anscheinend noch sehr, sehr weit entfernt von der endgültigen Version des Stückes. Er war ja auch noch ein vergleichsweise junger Mann. Ich fragte mich, was ihn wohl im Laufe der Zeiten bewogen hatte, das Stück von einer Komödie in eine Tragödie umzuschreiben.
«... und liegt Hamlet nackt im Bette bei einem Weibe, fragt er sich: Rein oder nicht rein ...»
«Es wäre sehr schön, wenn wir vielleicht nicht mehr weiterreden würden», bat ich daraufhin.
«Wenn du willst, Geist... dann schweig ich...», antwortete ich etwas beleidigt, dass er nicht mehr über mein neues Stück erfahren wollte.
«Fein...»
«Ich kann schweigen wie ein Grab...»
«Gut zu wissen...»
«Um präzise zu sein, gegen mich ist ein Grab das reinste Plappermaul...»
«Schön ...»
«Und ich...»
«Shakespeare?»
«Ja?»
«Halten Sie endlich die Klappe!!!»
Der Geist war unhöflicher als eine pilzgeplagte Hure.
Während Shakespeare endlich schwieg und die Kutsche durch die wohlhabenden Gebiete der Stadt fuhr, spielte ich mit dem Medaillon herum, in dem sich das Bild der Gräfin Maria befand. Da kam mir plötzlich ein furchtbarer Gedanke: Was wäre, wenn diese Frau aussehen würde wie Oli-via? So, wie Essex aussah wie Jan?
Ich wurde bei diesem Gedanken ganz nervös, und meine Hände wurden feucht.
Jetzt begann der Geist auch noch zu transpirieren. Und dies mit meinem Körper!
Ich beschloss, in Gedanken bis drei zu zählen und dann das Medaillon zu öffnen. Und während des Zählens dachte ich nach:
... hoffentlich handelte es sich bei der Gräfin doch nicht um eine Frau, die aussah wie Olivia.
... ich würde es nicht aushalten, wenn Jan und sie auch hier ein Liebespaar werden sollten.
... denn das würde ja wohl bedeuten, dass ihre Seelen sich über die Jahrhunderte hinweg liebten.
... in dem Falle wäre Olivia und nicht ich die große, vorbestimmte Liebe seines Lebens.
... ich hatte schon bis drei gezählt.
... ich zähl einfach nochmal bis drei. ... ich hab viel zu viel Schiss, um das blöde Medaillon zu öffnen.
... aber ich bin auch viel zu neugierig, um es zu lassen.
... was soll ich nur tun?
< Vier>... das mit dem sollte ich nochmal üben.
... also nochmal von vorn.
... ach, was soll's?
Ich öffnete das verdammte Medaillon.
Die Frau auf dem Bild sah nicht aus wie Olivia.
Nein, sie sah aus wie eine noch schönere, noch anmutigere Version von Olivia!
Es schien wirklich so zu sein, als ob nicht nur ich in dieser Zeit gelebt hatte, sondern auch Jan und Olivia. Ob ihre beiden Seelen wohl in immer anderen Konstellationen von Leben zu Leben wanderten? Womöglich waren ihre Seelen schon bei den alten Römern ineinander verliebt gewesen oder bei den alten Ägyptern, wandelten gar schon als Steinzeitmenschen über unseren Planeten. Vielleicht war Jan einst ein Steinzeitmensch namens «Urghh» und Olivia eine Steinzeitfrau namens «Uftata», und «Urghh» haute «Uftata» eins mit der Keule über den Kopf, zog sie in seine Höhle und machte mit ihr dort Uftata.
Sollte ich das etwa lernen? Dass die wahre Liebe zwischen zwei vorbestimmten Seelen existiert? Dass man dieser wahren Liebe ihren Lauf lassen sollte, anstatt sie zu stören, so wie
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