Ploetzlich Shakespeare
Dichter der Weltgeschichte stammten. Offenbar fehlte dem jungen Shakespeare noch irgendetwas, um ein ganz großer Autor zu werden.
Ich betrachtete mir die Zeilen genauer und fragte mich, ob es nicht schöner wäre, wenn man den Grundgedanken umdrehte? Zum Beispiel, dass die - oder der Angebetete - nicht genauso schön wie ein Sommertag war, sondern noch viel wunderbarer.
Ich setzte mich auf den kleinen Holzschemel vor dem Tisch und nahm die Feder in die Hand. Sie fühlte sich ganz natürlich an. Es war ein schönes Gefühl, sie zu halten. Ich tunkte sie in das kleine verschmutzte Tintenfass und begann, auf dem pergamentähnlichen Papier zu schreiben:
Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?
Nach kurzer Dauer muss sein Glanz verbleichen...
Das war einfach so aus mir herausgeströmt, ich musste gar nicht dafür nachdenken. Und es klang überraschenderweise gar nicht mal so schlecht. Dabei hatte ich lange nicht mehr etwas geschrieben, eigentlich nicht mehr, seitdem mein Lehrer mir damals im Gymnasium erklärte, dass kein Mensch eine Geschichte mögen würde, in der sich ein Mädchen in ein übernatürliches Wesen verliebt.
Da sollte er jetzt mal Stephenie Meyer fragen.
Lehrer sind ja solche Idioten.
Ich musste das wissen, ich war ja selber eine.
Das Dichten der Zeilen bereitete mir eine unglaubliche Freude. Also überlegte ich mir weiter, was alles so gegen den Sommertag sprechen konnte, damit er gegen die Schönheit des im Gedicht angesprochenen Menschen schlechter aussah. Dabei durfte ich aber auch den Sommertag nicht allzu sehr schmälern, damit der Vergleich weiterhin Kraft hatte und den Angebeteten in seiner Anmut erhöhte. Ich dachte an eine Liebesszene zurück, die ich vor langer Zeit mal für mein Musical geschrieben hatte, in der der Werwolfmann und seine große Liebe in einem Blumenfeld picknickten, während ein Unwetter naht:
Und selbst in Maienknospen tobt der Wind
Auch das klang nicht schlecht. Mit dem Wind hatte ich die schönen Blumen ganz leicht herabgesetzt, ohne sie ihrer Schönheit zu berauben. Anscheinend hatte ich noch das gleiche Gefühl für kitschige Bilder wie damals als Fünfzehnjährige. Doch was reimte sich auf ?
Was bist du für ein schönes Kind!
Oder vielleicht: Jetzt hör mal zu, du blödes Rind!
Oder gar: Am Meer, da riecht es heut nach Stint!
Ich musste mich mal ein bisschen mehr konzentrieren, es würde doch noch etwas anderes als einen toten Fisch am Strand geben: , oder ? Alles eher suboptimal. Wie wäre es denn mit ?
Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?
Er ist wie du so lieblich nicht und lind;
Nach kurzer Dauer muss sein Glanz verbleichen,
Und selbst in Maienknospen tobt der Wind.
Ich starrte auf die Zeilen, und ein wundervolles Gefühl durchströmte mich. Ich hatte endlich wieder etwas geschrieben, nach all den fahren. Und es war gar nicht mal so übel. Ein Gedicht mit Reim und Metrum. Dass ich so etwas hinkriegen konnte. Dass ich überhaupt etwas hinkriegen konnte!
Es war verdammt schön, etwas hinzukriegen. Auch wenn es nur ein paar Verse waren. Oder es war eben gerade so schön, weil es ein paar Verse waren.
Sollte ich das hier lernen: dass meine wahre Liebe dem Schreiben gehört?
28
«Deine Zeilen sind nicht komplett fürchterlich.»
Ich erschreckte mich unglaublich, als ich plötzlich diese Worte hörte. Ich war so versunken in das Gedicht gewesen: «Sie ... Sie sind wieder da, Shakespeare?»
Ich war wieder aufgewacht, zwar noch hundemüde, aber wirklich angetan davon, was der Geist namens Rosa aus meinen Worten gemacht hatte: «Das Gedicht so zu wenden, dass die Person noch viel schöner ist als der Sommertag, ist eine sehr gute Idee.»
Es war das erste Mal, dass jemand lobte, was ich zu Papier gebracht hatte. Es war ein unglaubliches Gefühl, das mich mit Stolz erfüllte wie sonst nichts in meinem Leben. Es war ja auch nicht irgendwer, der dies tat. Nicht meine Mutter, die mich als Teenager gelobt hatte, wie ich Schlagzeug spielte, während die Nachbarn bereits einen kleinen Lynchmob organisierten. Nein, es war Shakespeare himself, der mir diese Anerkennung zollte!
Ich war wie elektrisiert, dass Rosa den Durchbruch für das Sonett geschafft hatte, an dem ich bereits so lange laborierte. Ihr Schaffen setzte bei mir etwas frei. «Es könnte so mit der Abwertung des Sommers weitergehen», schlug ich vor und deklamierte:
Oft blickt zu heiß des Himmels Auge
Weitere Kostenlose Bücher