Ploetzlich Shakespeare
wie Hamlet mit dem Totenschädel. Waren sie genauso einsam und schwermütig, wie ich mir den Prinzen Dänemarks vorstellte?
Und was waren das für alberne Gestalten, die Rosa auf meine Nachfrage hin als bezeichnete?
Erstaunlich war auch, wie viele Menschen aus den fernen Ländern auf den Straßen herumliefen: schwarze, braune und gelbe. Wie waren sie hierhergekommen? Was machten sie hier?
Eins war jedoch gewiss: Sollte ich je in meine Zeit zurückkehren, würde ich niemandem von meinen Eindrücken berichten können, ohne ins Irrenhaus eingewiesen zu werden. Auch für meine Theaterwerke könnte ich die Eindrücke nicht verwenden: Ich konnte Hamlet nicht auf der Bühne in so eine Meine Schachtel reden lassen. Ich konnte die Heere von Macbeth nicht in dieser merkwürdigen Straßenbahn in die Schlacht fahren lassen. Und das Publikum im würde mit Fahrradkurieren weit weniger anfangen können als mit Hexen und Geistern. Während ich noch darüber sinnierte, hörte ich plötzlich hinter mir eine Stimme: «Rosa, wir müssen zur Hochzeit!»
48
Ach, du meine Güte! Vor lauter Aufregung hatte ich die Hochzeit komplett vergessen! Holgi war gekommen, um mich abzuholen. Er war bereits im Flur, hatte er doch einen Schlüssel zu meiner Wohnung.
Was sollte ich nun tun? Würde ich es schaffen, Shakespeare einschlafen zu lassen, Prospero aufzusuchen, Shakespeare zurück in die Vergangenheit zu schicken und dann noch rechtzeitig zur Hochzeit zu kommen, um sie zu torpedieren? Das war ungefähr so realistisch wie ein stabiles weltweites Finanzsystem.
Sollte ich stattdessen erst die Hochzeit torpedieren und dann zu Prospero? Das wäre gegenüber Shakespeare vielleicht nicht ganz fair, aber immerhin ein wenig realistischer. Doch auch für diesen Plan müsste er vorher erst einmal einschlafen.
«Rosa?» Holgi betrat nun das Wohnzimmer. Er trug einen rosa Anzug mit lila Weste. Shakespeare wurde bei diesem Anblick wieder etwas lebendiger, richtete meinen Körper auf und kommentierte Holgis Outfit spontan mit:
«Mein Herr, bei Ihrem Anblick wird man farbenblind.»
Holgi war sichtlich irritiert, solch eine gestelzte Sprache war er nicht von mir gewöhnt. Vorsichtig sagte er: «Du siehst großartig aus. Dein Hintern kommt in dem Kleid voll zur Geltung.»
«Ach... wirklich?», fragte ich neugierig.
Shakespeare versuchte, einen Blick auf meinen Hintern zu erhaschen. Er nahm meinen Schminkhandspiegel, der auf dem Wohnzimmertisch lag, in die Hand, sah sich damit meinen Hintern an und bestätigte anerkennend:
«Wahrlich... eine wohlgeformte Rundung.»
Da fühlte ich mich dann doch wieder geschmeichelt. Shakespeare hatte ja, was Frauenkörper betraf, einen Haufen Vergleichswerte.
«Ich würde diesen Hintern gerne mal nackt sehen.»
«Untersteh dich!», rief ich.
«Ich würde sehr gerne wissen, ob er Runzeln hat.»
Holgi, der mich ja nicht hören konnte, war von diesem merkwürdigen Verhalten besorgt: «Sag mal, Rosa, hast du etwa wegen der Hochzeit wieder getrunken?»
«Welche Hochzeit?», fragte ich verwundert.
«Welche wohl?» Holgi nahm seine Einladungskarte aus der Jacketttasche und hielt sie Shakespeare vor die Nase. Und auf dieser Karte waren Jan und Olivia zu sehen.
Es war unfassbar, was ich auf diesem Bilde sah: die wunderschöne Gräfin und den kriegslüsternen Earl. Sie hatten andere Frisuren und trugen skurrile Kleidung, aber die Gesichter... es gab keinerlei Zweifel daran... die Gesichter waren dieselben.
«Die ...die beiden heiraten in der Zukunft... ?», fragte ich mit zittriger Stimme, und der dicke Mann im rosa Anzug erwiderte: «ja, und zwar in sehr naher Zukunft. Wir müssen uns verdammt beeilen, wenn wir noch pünktlich kommen wollen.»
William antwortete Holgi nicht, er war nun völlig benommen, reizüberflutet von all den Informationen, die auf ihn einprasselten. Daher zischelte ich ihm zu: «Ich erklär dir alles, aber schick erst mal unauffällig meinen Freund hinaus.»
Shakespeare überlegte kurz, wie er möglichst dezent Holgi hinauskomplimentieren könnte, und bat ihn dann: -
«Geh bitte aus dem Raum. Ich muss jetzt hier Wasser lassen.»
«Hier? Willst du dazu nicht aufs Klo gehen? Sag mal, Rosa, was ist denn mit dir los?» Holgi wurde immer besorgter.
« O ja...», räusperte ich mich. «Klo... was für eine exzellente Idee.»
William sah sich um, entdeckte eine Tür, eierte auf den Stöckelschuhen auf sie zu und öffnete sie.
«Das ist dein Abstellraum»,
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