Ploetzlich Shakespeare
übergroße Bilder, auf denen sich spärlich bekleidete junge Frauen räkelten. Es machte den Anschein, als ob sie irgendwelche Waren anpriesen. Waren, deren Sinn sich mir nicht erschloss. Als ich Holgi vorsichtig danach fragte, erwiderte er nur kryptisch: «Der Sinn von Bacardi leuchtet mir schon ein. Der von Bräunungscreme auch. Nur das mit den Fitnessclubs ist wirklich absurd.»
Als ich auf einem der Bilder eine besonders spärlich bekleidete Dame sah, fand ich nicht nur ihre Anatomie unnatürlich (keine Frau konnte am Bauch so schlank sein und gleichzeitig an den Brüsten so wohlgeformt). Noch unnatürlicher war ihr Lächeln, so als ob es nicht von Herzen kam. Ich musste an Anne denken, deren Lächeln stets herzlich und voller Wärme war. Und mir fiel ein, was Rosa in ihrer Wohnung behauptet hatte: Füreinander bestimmte Seelen schienen sich immer wieder anzuziehen. Dies bedeutete: Eine von diesen unglücklichen, hektischen Personen, die hier lebten, würde Anne sein!
Ob ich sie wiederfinden würde? Auch wenn sie sich in einem neuen Körper befand, ihr liebliches Lächeln würde ich jederzeit wiedererkennen. Falls ich Anne träfe, würde ich sie flehentlich um Verzeihung bitten. Und wenn sie mir tatsächlich verzieh, dann ... dann würde ich sicherlich doch noch an einen Gott glauben.
51
Vor der Kirche, die im nobelsten Viertel von Düsseldorf stand, parkte Holgi im Halteverbot, zuppelte sich seinen rosa Anzug zurecht und stieg aus. Shakespeare folgte ihm mit meinem Körper und betrachtete interessiert die Hochzeitsgesellschaft. Wir sahen lauter reiche Freunde von Jan und Olivia in edlen Anzügen und teurer Abendgarderobe. Aber diese noblen Leute schüchterten mich das erste Mal in meinem Leben nicht ein, hatte ich doch anschaulich erlebt, dass selbst die aristokratischsten Menschen eben auch nur Menschen waren: Ich hatte Queen Elizabeth auf dem Donnerbalken gesehen.
Shakespeare betrachtete sich schweigend die Menge, hielt nach irgendetwas Ausschau. Er starrte eine Frau nach der anderen an, allerdings musterte er nicht deren Figuren, sondern nur deren Gesichter.
Keine von ihnen lächelte wie Anne. Nicht mal ansatzweise. Die Güte ihres Herzens besaßen diese Frauen nicht. Stattdessen begutachteten sie misstrauisch die anderen Weibsbilder: War eine andere hübscher als sie? War eine besser gekleidet? Die Frauen musterten auch mich, und ihren Blicken nach zu urteilen, hielten sie sichfür etwas Besseres als Rosa. Da stellte ich mit einem Male fest: Alle Welt sah mich als Frau, und wenn ich eine Frau war, dann... dann würde Anne in dieser Zeit gewiss ein Mann sein!
Von diesem Augenblick an betrachtete ich mir die Männer ringsum. Sie trugen weite Hosen und nicht Strumpfhosen. Was - wenn man es recht bedachte - ästhetisch eine recht erfreuliche Entwicklung war.
Die meisten dieser Männer lächelten nicht von sich aus, so versuchte ich sie mit einem eigenen Lächeln dazu zu animieren.
Im ersten Augenblick dachte ich entsetzt: Hey, will William jetzt Männer angraben, um die weibliche Lust zu verspüren? Doch dann besann ich mich darauf, dass ich Shakespeare mittlerweile besser kannte: Er war eine verletzte Seele. Und er suchte gewiss nach Anne. Blöd nur, dass er die auch bei Björn suchte, indem er ihn anlächelte. Björn war ein Singlefreund von Jan, der glaubte, er sei ein ausgesprochener Frauentyp. Eine Meinung, die Björn exklusiv besaß.
Ermuntert von meinem Lächeln, schlenderte ein bulliger Mann auf mich zu. Er grinste mich breit an. Sein Lächeln erinnerte leider kein bisschen an Anne.
«Wir beide sitzen am Singletisch», sagte der Mann, ohne dass ich auch nur eine blasse Ahnung hatte, was ein Singletisch wohl sein mochte. Und dann ergänzte er: «Und wenn du Glück hast, bist du heute Nacht auch in meinem Singlebett.»
Hätte ich noch Macht über meinen Körper gehabt, hätte ich mich jetzt sehr gerne auf Björns Schuhe übergeben.
Der Mann streichelte über Rosas wohlgeformten Hintern, und ich war völlig perplex ob seiner Dreistigkeit: War es in dieser Zeit nicht üblich, die Frauen mit wohlgeformten Worten zu umgarnen? Ihnen Liebesgedichte vorzutragen, sie mit Komplimenten zu berauschen oder ihnen zart ins Ohr zu säuseln? Selbst wenn man mit der Dame nur für eine Nacht das Bett teilen möchte?
Der Akt des Werbens war doch mindestens so aufregend wie der eigentliche Geschlechtsakt. Und in der Regel dauerte dieser auch länger. Man hatte also mehr davon. Doch wenn
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