Ploetzlich Shakespeare
die Menschen in dieser Zeit nicht wussten, wie man das Werben umeinander auskostet, was konnten sie denn überhaupt genießen?
Björn ließ die Hand von meinem Hintern. Ich war echt dankbar, dass ich nicht habe fühlen können, wie er mich betatschte. Noch bevor ich Shakespeare warnen konnte, nicht jeden Mann, der heute am Singletisch sitzen würde, anzulächeln, ging mit einem Mal Jans Mutter auf uns zu. Sie hatte offensichtlich eine Generalüberholung in einer Schönheitsklinik hinter sich: Ihre Haut war unnatürlich gebräunt, ihre Stirn eine botoxverseuchte Zone und ihre Lippen extrem aufgespritzt. Bevor ich dem verdutzten Shakespeare erklären konnte, wer diese Frau war, stand Jans Mutter schon vor mir. Sie freute sich unglaublich, dass ich nicht ihre Schwiegertochter wurde, und säuselte: «Liebste Rosa, wie geht es deiner Mutter? Hat sie immer noch Vagina-Pilze?»
«Meine Dame, Ihre Wortwahl ist genauso rüde wie Ihr Aussehen», erwiderte ich kühl.
Auch wenn ich gerade unglaublich zornig auf Rosa war, so mochte ich es doch nicht, wenn man sie beleidigte. Schon gar nicht, wenn es eine solche Schabracke tat. Ich fragte sie daher: « Wie sind Sie zu solchen Lippen gekommen ? Die sehen aus wie die eines Blauwals.»
Die alte Ziege schnappte nach Luft, dann erwiderte sie empört: «Rosa, du wirst auch schon noch erfahren, was es bedeutet, alt zu werden. Dann wirst du nicht mehr so spotten. Und so verfallen, wie du jetzt bereits aussiehst, wird das schon sehr bald sein.»
«Doch so, wie Sie aussehen, Madam», entgegnete ich, «sind Sie bereits so reich an Jahren, dass Sie sicherlich die biblischen Zeiten aus eigenem Erleben kennen.»
Die Lippen der Alten begannen darauf zu zittern, und ich fuhr fort: «Ich gehe doch recht in der Annahme, Sie haben die Sintflut überlebt, indem Sie neben der Arche herschwammen.»
Jetzt plusterten sich die Lippen regelrecht auf, und ich setzte dem Spott noch eins drauf:« Und als Gott am sechsten Tage die Menschen erschuf, waren Sie bereits einige Tage auf der Erde.»
Der Mund von Jans Mutter sah nun aus wie der eines Blauwals, in den Plankton hineinschwimmt. So hatte noch nie jemand mit ihr geredet. Ich hätte es gerne mal getan, aber ich hatte mich nie getraut. Auch Jan hatte ihr nie Paroli geboten. Auf seine Mutter ließ er nichts kommen. Es gefiel mir außerordentlich, dass Shakespeare meine Ehre verteidigte.
Bevor Jans Mutter etwas erwidern konnte, wurden wir in die Kirche gebeten - die Trauung sollte beginnen. Aus der Ferne sah ich Jan, der in seinem perfekt sitzenden Smoking ebenso stilvoll wie atemberaubend aussah. Sowie Olivia am Arm ihres Vaters, die ein traumhaftes, bodenlanges enges Hochzeitskleid trug, das ihren makellosen Körper vorteilhaft zur Geltung brachte. Shakespeare starrte sie fasziniert an. Wütend zischte ich ihm zu: «Du musst dich mal entscheiden! Entweder du jammerst mir von deiner Anne vor, oder du willst diese blöde Kuh!»
Rosa traf mit dieser Bemerkung regelrecht in mein Herz: Ich sollte nicht von der Gräfin schwärmen, ich sollte auch nicht mehr versuchen, sie zu erobern, damit sie mir ein Theater finanzierte, falls ich je in meine Zeit zurückkehren würde. Solche berechnenden Gedanken hatte ich nur zulassen können, da ich gewiss war, dass meine große Liebe verstorben war.
Shakespeare ging schweigend mit meinem Körper in die Kirche hinein, er wollte mir wirklich demonstrieren, dass Jan nicht der Richtige für mich war. Oder er wollte dort Anne suchen. Schätzungsweise beides. Gemeinsam mit Holgi nahm er in einer der hinteren Bankreihen Platz, neben einer kleinen alten Frau, die ein bisschen Ähnlichkeit hatte mit einem fiesen Rauhaardackel.
Shakespeare ärgerte sich darüber, dass die Kirche immer noch so eine große Rolle im Leben der Menschen spielte. Als ich ihm jedoch erklärte, dass er sich irrte und dass die Kirche bei weitem nicht mehr die Macht über die Staatsgeschicke hatte wie einst im alten England, freute er sich: Unsere Welt war wohl doch nicht so trist, wie die traurig dreinblickenden Menschen und diese merkwürdigen Nordic Walker vermuten ließen.
Mir wurde klar, dass für Shakespeare die neuen Eindrücke noch viel anstrengender und überwältigender sein mussten als die für mich in seiner Zeit, denn ich hatte ja schon einige rudimentäre Kenntnisse über die Vergangenheit besessen, als ich dort ankam, aber er wusste immer noch kaum etwas von der Zukunft.
Während der dröge Pastor seine
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