P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
Wandern«, bemerkte Theo.
»Frau Kallberger wird um elf Uhr in Güstrow sein«, berichtete Thomas, »sie hat in Berlin übernachtet und wird einen Zug nehmen.«
»Marcel Lüthi?«
»Von dem haben wir nichts gehört. Wie schon gesagt: Diese Operation hier ist beendet. Es geht allen gut.«
Theo nickte eifrig.
»Du kannst gerne ein paar Tage hier bleiben und die Mecklenburgische Schweiz erkunden. Du kannst auch eines unserer Autos benützen – der Bentley ist allerdings schon gebucht.«
Er grinste herablassend. Ich kam mir fehl am Platz vor, aber das machte ja nichts.
»Das Geheimnis wird also definitiv nicht gelüftet?«
»Zu deinem Schutz. Je weniger du weißt, umso besser.«
»Ja, genau«, unterstützte ihn Theo, »das hier erfordert allerhöchste Diskretion.«
»Und was mach ich mit Frau Kallberger?«
»Wandern«, schlug Thomas vor, »oder Velofahren. Es gibt sehr gepflegte Velowege rund um den See herum.«
»Und du gehst nach Zürich?«
»Mein Flug ist um sechs Uhr.«
»Alma und Fred sind schon abgereist«, berichtete Theo, »sie lassen dich grüßen.«
Es kam mir eine Idee: »Wenn ich mir einen Wagen von dir ausleihen könnte, dann könnte ich ja nach Güstrow fahren und Frau Kallberger abholen.«
»Ausgezeichnet. Du kannst den BMW nehmen.«
»Und Frau Kallberger die Gegend zeigen«, stimmte Thomas ein.
Theo stand auf. »Ich muss mich noch um ein paar Transportdetails kümmern«, sagte er und verschwand.
»Irgendjemand verkauft also Kunstwerke, damit Elsa zu Geld kommt«, sagte ich zu Thomas, der unentschlossen mir gegenübersaß.
»Das braucht dich nicht zu kümmern. Eine Phase ist abgeschlossen, die nächste beginnt. Du kannst mir glauben, dass ich am liebsten auch gehen würde. Aber ich habe Verpflichtungen. Jemand muss die losen Enden verbinden.«
»Ich bekomme den Eindruck einer gewissen Absetzungsbewegung.«
Er nickte. »Dein Eindruck ist richtig. Was hält uns hier noch? Ich sehe dich dann in Zürich.«
Er blickte mich nochmals ernst an: »Tu mir einen Gefallen– spiel nicht weiter Detektiv. Die Sache ist vorbei. Rita und den andern geht es gut – sehr gut sogar. Sie werden zurückkommen.«
»Aber ich habe nur dein Wort.«
»Nur mein Wort. Mehr kann ich dir nicht geben. Hol Frau Kallberger ab, beruhige sie, genieße die Mecklenburgische Schweiz. Benütze keine Handys.«
Er erhob sich, nickte mir zu und verschwand im Gebäude.
Ich nahm mir eine zweite Schrippe, noch einen Finezzo Lungo, probierte vom Katenschinken.
Chantal Lutz setzte sich zu mir. Sie war eine elegante, schlanke Frau, hatte ihr graues Haar blond gefärbt und zu einem kleinen Pferdeschwanz gebündelt. Sie war gepudert und geschminkt und trug weiße Leinenhosen und eine lila Seidenbluse. Sie gab sich zwar munter und heiter, wirkte aber angespannt.
»Gut geschlafen?«
»Sehr gut. Vielen Dank – für alles.«
»Hier sind noch die Schlüssel zum X3, steht auf dem Vorplatz bereit.«
»Hast du gestern die Füchse gesehen?«, fragte ich.
»Füchse?«
»Zwei Füchse, auf der Wiese da drüben.«
Sie musterte mich sichtlich verwundert.
Dann flüsterte sie: »Ich möchte auch weg. Dorthin, wo sie alle hingegangen sind.«
»Und wohin sind sie denn gegangen, in welche Richtung zum Beispiel?«
»Das weiß ich eben nicht. Sie sind nachts weggefahren. Sie sahen glücklich aus, als ob sie etwas Großes, Schönes erwartete.«
»Und wie viele kamen hier durch?«
Sie rechnete. »Gut zweihundert, seit Anfang Juli.«
»Frauen? Männer?«
»Mehr Frauen als Männer.«
»Und hast du Rita gesehen?«
»Ja. Ich sah ja ihr Bild in den Schweizer Zeitungen. Sie warallerdings die Einzige, die ich mit Namen kannte. Wir haben mit den Gästen kaum geredet. Sie blieben unter sich.«
»Und warum kamen sie hierher?«
»Eigentlich darf ich darüber nicht reden. Das ist ein Teil der Abmachung.«
»Der Abmachung mit Elsa Manetti.«
»Nein, nein. Es lief alles über Cora Mink und Thomas Schneider.«
Ich ließ mir eine Beschreibung von Cora Mink geben. Sie entsprach ziemlich genau der Mutter auf dem Kollwitzplatz, die mir den
Spiegel
hinterlassen hatte.
»Und jetzt?«, fragte ich.
»Jetzt gehen die Bilder weg, und dann verkaufen wir das Gutshaus.«
»Hast du Manetti gelesen?«
»Eben nicht. Was hat der damit zu tun?«
»Haben die Gäste nicht über Manetti geredet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß überhaupt nicht, über was sie geredet haben. Aber ich weiß, dass sie sich auf etwas gefreut haben. Etwa so, wie wir uns
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