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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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triumphierend. Und dann zeigte er uns sein Privatmuseum. Zu jedem Stück hatte er etwas zu sagen.
    »Diese kykladischen Idole aus Naxos, Tinos und Amorgossind 5000 Jahre alt, also viel älter als die axiale Ära. Sie sehen verblüffend modern aus, richtig abstrakt expressionistisch, wenn man so will. Man hat, als man diese Idole fand, viel philosophiert über die Zeitlosigkeit der Kunst, darüber, dass Formen immer wiederkehren. Alles Unsinn. Diese Dinger hier sind nur darum so abstrakt, weil es damals noch keine Metallwerkzeuge gab, um Marmor effizient zu bearbeiten. Man musste sich aufs Wesentliche beschränken, weil man das Unwesentliche nicht schaffte. Kaum hatten die Griechen Stahlmeißel, explodierte der Realismus. Kann man da bei diesem Zeuskopf aus Syrakus sehen: Jede Locke, jede Runzel, jedes Barthaar sind getreulich nachgebildet.«
    »Zeus stand Modell?«, stellte sich Sally extra dumm.
    »Wahrscheinlich ein alter Fischer oder ein Hirte. Besonders aufschlussreich ist dieses El-Fayum-Portrait. Sie wurden in der ptolemäischen Zeit auf Mumien geklebt. Sie passen nicht zur übrigen ägyptischen Kunst, die zwar nicht abstrakt, aber sehr schematisiert war. Warum dieser Ausrutscher? Nun, die Götter sollten die mumifizierten Ankömmlinge bei der Ankunft im Jenseits sicher erkennen können. Nur so konnten sie ewiges Leben erreichen. Da macht man dann Kompromisse in Stilfragen und wird wieder banal realistisch. Im Zweifelsfall werden Götter offensichtlich als Realisten eingestuft. Wenn es um Leben und Tod geht, wird auch der abstrakteste Expressionist zum naivsten Sonntagsmaler. Ha, Ha!«
    »Keine Kunstfotos, wenn man bei der Einreisekontrolle durchkommen will«, bestätigte ich ihn.
    »Genau. Zurück zu den Idolen. Warum gerade Idole? Und nicht Spielzeuge, oder Briefbeschwerer? Kein Mensch weiß es. Da drüben habe ich einen sakralen Zeremonialstab aus Uruk. Für was für eine Zeremonie? Wenn man nicht mehr weiter weiß, wird alles plötzlich heilig, rituell oder zeremoniell. Eines Tages wird man wohl unsere Aschenbecher als Opferschalen für die Brandopfer des Großen Cohiba halten.«
    »Oder Montecristo«, half ich aus.
    Chung lachte. »Wisst ihr, was ich glaube, wozu diese sogenannten Idole dienten?«
    »Gewichte?«, schlug Harry vor.
    »Nicht schlecht«, lobte ihn Chung, »hab ich auch einmal erwogen. Nur lässt sich da kein System ausmachen. Meiner Meinung nach waren es Quittungen für ausgeliehene Sklaven oder gekaufte Bräute. Schuldscheine. Eigentlich eine lokale Währung für den Menschenhandel.«
    »Sie sehen wirklich sehr standardisiert aus«, gab ihm Alma recht.
    »Das waren frühe Euros!«, ereiferte sich Chung.
    »Aber Religion durchdrang doch damals alles«, meinte Noemi.
    Chung nickte. »Passt ja zusammen: Geld und Religion haben den gleichen Ursprung.«
    »Also sind es doch Idole«, gab Noemi zurück.
    »Da hast du auch wieder recht. Die Unterscheidung zwischen Idol und Geschäftsquittung war noch nicht vollzogen. Alles war einmal religiös und nichts. Ich sehe sie trotzdem lieber als Transaktionsbeweise. Es macht sie irgendwie cooler, nicht? Auf jeden Fall waren sie nicht dekorativ wie diese römische Leda da drüben. Eine späte Kopie eines griechischen Originals. Reine Pornografie.«
    »Man sieht aber nichts Genaues«, bemerkte Joe, der die einschlägige Partie beäugte.
    »Etwas Phantasie brauchte es damals schon.«
    »Heute wäre das fürs Kinderprogramm am Sonntagmorgen tauglich«, meinte Sally.
    »Oder für die Tiersendungen am Nachmittag«, fügte ich hinzu.
    »Auf jeden Fall ist es dekorativ. Das Stück steht einfach da und schmückt die Villa des reichen Römers. Es beeindruckt seine Gäste und Klienten. Es dokumentiert seine Bildung. Seinen schlechten Geschmack.«
    »Also ist es auch ein Transaktionsbeweis«, insistierte Noemi.
    »Wenn du so willst, ist jedes Kunstwerk ein Transaktionsbeweis«, meinte Alma, »nicht verkaufte oder verkaufbare Kunst zählt nicht, ist nur Hobby.«
    »Der wahre Künstler ist also die Kunsthändlerin«, schloss Noemi messerscharf.
    »Es gibt nur Transaktionen auf dieser Welt«, dozierte David.
    »Ihr bringt alles durcheinander«, versetzte Alma, »der Kommunikationsakt ist nicht der Kommunikationsinhalt, McLuhan hin oder her. Der Künstler stellt die Botschaft her. Klar kann diese nicht ohne Sender und Empfänger überleben, aber sie ist nicht die Transaktion.«
    »Die Botschaft ist bloß der Bericht über eine vorausgegangene Transaktion«, beharrte

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