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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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dann so perfekt reglos angeklammert an dem Objekt, dass sie wie ein Teil davon aussah. Sogar die Farbe stimmte. Der Gesamteindruck war eine Kombination aus Giacometti und Giger. Ein Wesen aus dem tiefsten Weltall beobachtete uns da. Irma blinzelte.
    Chung führte uns durch seine terrassierte Gartenanlage, stellte uns seinen vier Schildkröten vor, veranlasste seinen Papagei Omar, uns »Welcome!« zuzukrächzen, ließ uns in seinem Weinkeller zwei alte Bordeaux kosten, servierte auf der Westterrasse Cognac und Bananenchips zumSonnenuntergang und verabschiedete uns dann aufs Herzlichste.
    »Ein guter Kunde?«, fragte ich Alma, als wir im kleinen Gummiboot zur Yacht zurückpaddelten.
    »Ein sehr guter.«
    Es begann zu regnen. Wir verkrochen uns in unsere Kojen. Der nächste Stopp war Martinique. Kein Hurrikan, dafür soziale Unruhen.
    Ich durfte inzwischen bei ruhigem Wetter das Schiff steuern, ich kochte meine sizilianischen Spaghetti und gewann zwei Mal beim Alívio.
    Wir diskutierten über die Chancen eines nichtkatastrophalen Ausstiegs aus der Wachstumsgesellschaft. Konnte die Dekarbonisierung gelingen? Konnte man Wachstum vom Ressourcenverbrauch abkoppeln? Wie bösartig waren die globalen Oligarchien wirklich? Wo würden die ersten Unruhen ausbrechen? Wie lange würde die KP China durchhalten? Die Diktatoren im Nahen Osten?

29.
    Nach Grenada nahmen wir Kurs auf Südamerika. Bei Buzios, Brasilien, gingen Noemi, Joe, Harry und ich von Bord und verabschiedeten uns von den anderen drei. Ein Mietwagen stand schon bereit.
    Sie winkten uns, als wir wegfuhren. Wir waren eine gute Crew gewesen. Wir würden uns wiedersehen.
    Drei Tage lang fuhren wir quer durch Brasilien, wir wechselten uns am Steuer ab. Wir schliefen in günstigen Motels, tranken Caipirinhas, aßen Hamburger, Bohnen und gerösteten Maniok.
    Mitten im Mato Grosso sah ich das Schild »Alívio« und wusste, dass wir angekommen waren.
    Es war eine unauffällige Kleinstadt wie viele andere. Soja-felder, Weiden, flache Betongebäude. Eine staubige Straße. Bunte Werbung. Harry hatte vor einer Stunde unsere Ankunft gemeldet. Wir fuhren auf einen Parkplatz, stiegen aus,und da trat er uns strahlend lächelnd entgegen: Roberto Manetti.
    Er war ein stattlicher Mann um die siebzig, gebräunte Glatze, schlank, fit, schwarze Hose, blau gestreiftes Hemd, italienische Schuhe.
    »Paul«, sagte er, »willkommen in Alívio! Ich bin ja so froh, dich hier bei uns zu haben.«
    Er sprach Zürcher Dialekt. Also war er nicht tot.
    »Ich habe deine Notizbücher versenkt. Ein Hai hat sie gefressen.«
    »Sehr gut, sehr passend. Nun kannst du ja mich selber fragen. Falls es überhaupt Fragen gibt.«
    »Nichts Wesentliches.«
    Manetti lesen hieß nun Manetti treffen.
    »Hast du die Texte selbst geschrieben?«, fragte ich.
    »Nein, nein, das war ein Team, unter Leitung von Thomas Schneider. Schreiben ist nicht meine Stärke. Ich handle lieber. In meinem tiefsten Innern bin ich Geschäftsmann.«
    Er begrüßte meine Gefährten. Zu Noemi sagte er: »Deine Bohnen gedeihen prächtig.«
    Zu Harry: »Die Stühle sind ein Renner.«
    Zu Joe: »Schweine und Ziegen warten sehnsüchtig auf deinen zärtlichen Zugriff.«
    Er kannte alle, er war nett zu allen, er wusste allen etwas zu sagen. Er wirkte auf mich wie eine Mischung aus Playboy und Patriarch. Roberto Manetti war mir eigentlich nicht sehr sympathisch.
    Er führte uns durch eine Gasse zum Hauptplatz, in dessen Mitte ein großer Baum stand. Unter den Arkaden rundherum erkannte ich Cafés, Restaurants, Läden. Da es auf den Abend zuging, war der Platz stark belebt, jedoch war kein Auto zu sehen.
    Wir erreichten das größte Restaurant am Platz. Eine Menschenansammlung stand vor ihm herum, mit Gläsern in der Hand, offenbar war ein großer Apéro im Gang. Vielleicht hatte jemand Geburtstag, oder ein Betrieb feierte einen besonderen Erfolg.
    »Paul, alle sind da«, sagte Manetti zu mir.
    Und es waren wirklich alle da. Nora Nauer begrüßte mich, als ob ich ihr bester Freund wäre, Marcel Lüthi strahlte vor Gesundheit, Rita Vischer drückte mich an ihren umfangreichen Busen, Susanne Kallberger (die hinterhältige Psychiaterin) entschuldigte sich: »Wir mussten uns schnell entscheiden. Tut mir leid, dass wir dich zurücklassen mussten.«
    Chantal Lutz küsste mich und murmelte: »Nie wieder Küsnacht.«
    Die Polizistengruppe um Grondin schüttelte mir verlegen die Hand. »Wir haben dich in Lissabon verloren,
chapeau
«, sagte Grondin und

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