Poirot Rechnet ab
ungefähr eine Stunde später zurückkam, glänzten seine Augen. Er legte seinen Stock auf den Tisch und bürstete seinen Hut mit Sorgfalt, ehe er zu sprechen anfing.
»Ich bin froh, mein Freund, dass wir im Augenblick keinen anderen Fall zu bearbeiten haben. So können wir uns ganz auf die aktuellen Untersuchungen konzentrieren.«
»Was für aktuelle Untersuchungen?«
»Über die bemerkenswert billige Wohnung Ihrer Freunde Robinson.«
»Poirot, das ist doch nicht Ihr Ernst?«
»Mein voller Ernst. Überlegen Sie mal, mein Freund. Die Wohnung müsste eigentlich dreihundertfünfzig Pfund kosten. Ich habe das gerade bei einem Häusermakler festgestellt. Trotzdem wird diese Wohnung für achtzig Pfund vermietet! Warum, frage ich mich.«
»Vielleicht ist doch etwas nicht in Ordnung. Vielleicht spukt es doch, wie Mrs Robinson andeutete.«
Poirot schüttelte unbefriedigt den Kopf. »Äußerst merkwürdig, dass Mrs Robinsons Freundin sagte, die Wohnung sei schon vermietet, und dann, als die Robinsons selbst hinaufgehen, stellt sich heraus – es stimmt gar nicht!«
»Wahrscheinlich ist die andere Dame einfach in eine falsche Wohnung gegangen. Das ist die einzige Erklärung.«
»Vielleicht haben Sie Recht, Hastings. Aber die Tatsache bleibt bestehen, dass eine Menge anderer Bewerber dort hingeschickt worden sind, um sie anzusehen, und doch, trotz der auffallenden Preiswürdigkeit, war die Wohnung noch zu haben, als Mrs Robinson hinkam.«
»Das deutet eben doch daraufhin, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist.«
»Ist denn Mrs Robinson gar nichts aufgefallen? Sehr sonderbar jedenfalls. Kam sie Ihnen wie eine wahrheitsliebende Frau vor, Hastings?«
»Sie ist ein reizendes Geschöpf!«
»Evidemment! Sie sind mal wieder unfähig, mir meine Frage zu beantworten. Beschreiben Sie mir die Dame.«
»Na schön, sie ist groß und hübsch; braunes Haar mit einem herrlich rötlichen Schimmer…«
»Sie haben immer eine Schwäche für Rotbraun gehabt«, murmelte Poirot. »Aber fahren Sie fort.«
»Blaue Augen und einen sehr schönen Teint und… ja, das ist alles, glaube ich«, sagte ich ziemlich lahm.
»Und ihr Mann?«
»Oh, der ist soweit ein ganz netter Kerl – nichts Besonderes.«
»Dunkel oder blond?«
»Das weiß ich nicht – so ein Mittelding, und ein ganz normales Gesicht.«
Poirot nickte.
»Ja, natürlich, es gibt Hunderte von Durchschnittsmännern – aber jedenfalls entwickeln Sie viel mehr Fantasie bei der Beschreibung von Frauen. Wissen Sie etwas über diese Leute? Kennt Parker sie gut?«
»Sie sind bis jetzt nur flüchtig bekannt, glaube ich. Aber hören Sie, Sie werden doch nicht denken…«
Poirot hob die Hand. »Tout doucement, mon ami. Wer hat denn gesagt, dass ich überhaupt denke? Alles, was ich sage, ist: Es ist eine merkwürdige Geschichte. Und ich finde keine Erklärung; wie ist denn der Name der Dame, eh, Hastings?«
»Ihr Name ist Stella«, sagte ich, »aber ich sehe nicht ein…«
Poirot unterbrach mich mit einem blödsinnigen Gekicher. Irgendetwas schien ihn zu amüsieren.
»Und Stella heißt ein Stern, nicht wahr? Famos!«
»Aber nun hören Sie mal…«
»Und Sterne schimmern! Voilà! Beruhigen Sie sich, Hastings. Und spielen Sie nicht schon wieder die beleidigte Leberwurst. Kommen Sie, wir wollen zu den Montague Mansions gehen und dort ein bisschen schnüffeln.«
Ich ging ziemlich widerwillig mit. Die Mansions waren schöne Gebäude in tadellosem Zustand. Ein uniformierter Portier sonnte sich auf der Schwelle.
»Verzeihen Sie, können Sie mir sagen, ob Mr und Mrs Robinson hier wohnen?«, wandte sich Poirot an ihn. Der Portier war ein wortkarger Mann und anscheinend schlechter Laune. Er sah uns kaum an und brummte: »Nummer vier, zweiter Stock.«
»Danke Ihnen sehr. Können Sie mir sagen, wie lange sie schon hier wohnen?«
»Sechs Monate.«
Mir blieb vor Staunen der Mund offen.
»Unmöglich«, rief ich. »Sie müssen sich irren.«
»Sechs Monate.«
»Sind Sie sicher? Die Dame, die ich meine, ist groß und hat rotbraune Haare und…«
»Die ist es«, sagte der Portier. »Eingezogen an Michaelis. Genau vor sechs Monaten.«
Er verlor jedes Interesse an uns und zog sich in die Halle zurück. Ich folgte Poirot nach draußen.
»Eh bien, Hastings?«, fragte mich mein Freund verschmitzt. »Sind Sie jetzt immer noch so sicher, dass die reizende Dame die Wahrheit spricht?«
Ich gab keine Antwort.
Poirot war schon in der Brompton Road, ehe ich ihn fragte, was er jetzt
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