Poirot Rechnet ab
und nicht im Mindesten künstlerisch.«
Ich fand Poirots Telegramm reichlich überheblich. Wahrscheinlich war er eifersüchtig auf die Handlungsfreiheit, die mir auf dem Schauplatz der Ereignisse natürlich erlaubte, nach meinem Gusto zu verfahren. Sein Wunsch nach einer Beschreibung der Kleider, die die beiden Frauen getragen hatten, kam mir ziemlich lächerlich vor, aber ich entsprach seinem Ansinnen nach bestem Vermögen.
Um elf Uhr kam die telegrafische Antwort von Poirot.
»Raten Sie Japp, die Haushälterin zu verhaften, b e vor es zu spät ist.«
Völlig ratlos brachte ich das Telegramm zu Japp. Der fluchte leise vor sich hin.
»Ein verrückter Bursche, dieser Mr Poirot! Aber wenn er so etwas sagt, ist immer etwas dran. Dabei habe ich die Frau kaum beachtet. Ich sehe auch keine Möglichkeit, sie zu verhaften, aber ich werde sie überwachen lassen. Gehen wir doch sofort hin und sehen sie uns einmal genauer an.«
Aber es war zu spät! Mrs Middleton, diese ruhige Frau mittleren Alters, die uns so nett und so respektabel erschienen war, hatte sich in Luft aufgelöst. Ihren Koffer hatte sie zurückgelassen. Er enthielt nur normale Kleidungsstücke. Keinen Hinweis über ihre Identität – keinen Aufschluss, woher sie kam.
Mrs Havering teilte alle ihr bekannten Details mit.
»Ich habe sie vor ungefähr drei Wochen engagiert, als Mrs Emery, unsere frühere Haushälterin, wegging. Sie wurde mir durch das Büro von Mrs Selbourne in Mount Street – eine sehr bekannte Agentur – empfohlen. Bisher habe ich alle meine Dienstboten durch diese Agentur bekommen. Sie schickten mir verschiedene Bewerberinnen, aber diese Mrs Middleton schien mir bei Weitem die netteste; außerdem hatte sie blendende Zeugnisse. Ich engagierte sie und teilte das sofort der Agentur mit. Dass ich mich in dieser ruhigen und netten Frau so getäuscht haben soll, kann ich kaum glauben.«
Die Sache war mysteriös. Die Haushälterin konnte das Verbrechen nicht begangen haben, da sie in dem Augenblick, als der Schuss abgefeuert wurde, mit Mrs Havering in der Halle war. Und doch musste sie irgendeine Verbindung zu dem Mörder gehabt haben! Ich konnte mir nicht vorstellen, warum sie sonst so plötzlich verschwand.
Ich telegrafierte Poirot und schlug ihm vor, nach London zurückzukommen und bei der Agentur Selbourne nachzuforschen. Poirots Antwort kam umgehend:
»Nutzlos, bei der Agentur nachzufragen – sie ist dort unbekannt – stellen Sie fest, welchen Wagen sie benutzte, als sie sich vorstel l te.«
Obwohl mir sein Ansinnen schleierhaft erschien, befolgte ich seinen Wunsch. Die Transportmöglichkeiten waren gering. Die örtliche Garage hatte zwei ramponierte Fords, und dann gab es noch zwei Taxis an der Bahnstation. An dem bewussten Tag war kein Wagen verlangt worden. Mrs Havering, die wir befragten, erklärte, sie habe seinerzeit der Frau für die Fahrt nach Derbyshire so viel Geld gegeben, dass noch genug übrig blieb, um einen Wagen oder ein Taxi nach Hu n ter’s Lodge zu mieten.
Die Tatsache, dass niemand die Ankunft eines Fremden mit schwarzem Bart oder ohne schwarzen Bart an dem Mordabend bemerkt hatte, ließ darauf schließen, dass der Mörder mit einem Wagen gekommen war, den er irgendwo in der Nähe abstellte. Dieser Wagen diente ihm und wahrscheinlich auch der Haushälterin nach dem Verbrechen zur Flucht.
Die Erkundigungen bei der Agentur in London bestätigten Poirots Voraussagen. Keine Frau namens Middleton war in ihren Büchern vermerkt. Sie hatten Mrs Havering mehrere Bewerberinnen für den Posten zugewiesen. Als sie der Agentur die Vermittlungsgebühren überwies, vergaß sie aber anzugeben, welche Bewerberin sie genommen hatte.
Etwas mutlos fuhr ich nach London zurück. Ich fand Poirot in einen prunkvollen seidenen Schlafrock gehüllt vor dem Kamin sitzend. Er war sichtlich erfreut, mich wiederzusehen.
»Mon ami Hastings! Ich bin froh, dass Sie wieder da sind. Wirklich, ich habe eine große Schwäche für Sie! Haben Sie sich gut unterhalten? Haben Sie sich mit dem guten Japp ordentlich Bewegung gemacht? Haben Sie endlich einmal nach Herzenslust untersuchen und fragen können?«
»Poirot«, rief ich, »das ist eine ganz dunkle Affäre. Ich fürchte, sie wird nie aufgeklärt werden.«
»Ja, große Lorbeeren werden wir nicht ernten.«
»Nein, wirklich nicht. Eine harte Nuss!«
»Ach, was das anbelangt, aufs Nüsseknacken verstehe ich mich ganz gut. Wie ein richtiges Eichhörnchen! Das ist es nicht,
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