Poirot Rechnet ab
allein ansehen. Das Ergebnis meiner Inaugenscheinnahme war enttäuschend. Ich betrachtete alles mit äußerster Sorgfalt, aber außer einem großen Blutfleck war nichts zu sehen. Mit dem kleinen Fotoapparat, den ich mitgebracht hatte, machte ich ein paar Aufnahmen von dem Zimmer. Dann ging ich hinaus in den Garten und suchte vor dem Fenster des Jagdzimmers nach Fußspuren. Es war völlig sinnlos, Zeit damit zu verlieren, denn der Boden war völlig zertrampelt. Hunter’s Lodge hatte mir nicht viel zu bieten. Ich musste zurück nach Elmer’s Dale und mit Japp Fühlung aufnehmen. Also verabschiedete ich mich und fuhr mit dem Wagen, der mich hergebracht hatte, wieder zurück.
Ich fand Japp in den Matlock Arms, so hieß das Gasthaus. Als er sich die Leiche ansehen ging, nahm er mich mit. Harrington Pace war ein kleiner, magerer, glatt rasierter Mann von sehr amerikanischem Aussehen. Er war aus allernächster Nähe in den Hinterkopf geschossen worden.
»Er muss sich einen Augenblick umgedreht haben«, bemerkte Japp, »während der andere sich den Revolver schnappte und ihn erschoss. Der Revolver, den uns Mrs Havering gegeben hat, war geladen, und ich vermute, der andere war es auch. Es gibt doch komische Leute – wer hängt sich schon zwei geladene Revolver an die Wand?«
»Was halten Sie von der Sache?«, fragte ich ihn, als wir den Raum verließen.
»Um ehrlich zu sein, zuerst hatte ich Havering im Verdacht!«
Als er mein Erstaunen bemerkte, sagte er: »Warum nicht? Es gibt nämlich zwei dunkle Punkte in Haverings Vergangenheit. Als er in Oxford studierte, passierte etwas Komisches mit der Unterschrift seines Vaters auf seinem Scheck. Die Angelegenheit wurde natürlich vertuscht. Ja, und dann, da ist noch etwas Schwerwiegenderes. Mr Havering steckt bis über die Ohren in Schulden – Schulden, die er seinem Onkel mit gutem Grund verschwiegen hat. Dabei ist ziemlich sicher, dass das Testament des Onkels zu seinen Gunsten abgefasst ist. Ja, mein Verdacht richtete sich auf ihn, und deswegen wollte ich ihn sprechen, bevor er seine Frau gesehen hatte. Aber ihre Aussagen widersprachen sich nicht. Nach den Auskünften der Bahnstation gibt es auch keinen Zweifel, dass er mit dem Sechs-Uhr-fünfzehn-Zug fuhr. Der Zug kommt um zehn Uhr dreißig in London an. Er behauptete, schnurstracks in seinen Klub gegangen zu sein, und wenn sich das bestätigt – ja, dann kann er unmöglich mit einem schwarzen Bart hier gewesen sein und um neun Uhr seinen Onkel erschossen haben.«
»Hm, ja, ich wollte Sie noch fragen – was halten Sie von dem Bart?«
Japp zwinkerte.
»Ich denke, der ist mächtig schnell gewachsen – in fünf Meilen – von Elmer’s Dale bis Hunter’s Lodge. Ich jedenfalls kenne nur glatt rasierte Amerikaner. Und wir müssen wohl unter Mr Pace’ amerikanischen Freunden suchen, wenn wir den Mörder finden wollen. Ich habe zuerst die Haushälterin und dann Mrs Havering vernommen. Ihre Geschichten stimmen völlig überein. Zu schade, dass Mrs Havering diesen Burschen nicht zu Gesicht bekam. Sie ist eine patente Frau und hätte uns sicher weiterhelfen können.«
Ich setzte mich hin und schrieb einen genauen und langen Bericht an Poirot. Bevor ich ihn zur Post brachte, fügte ich noch einige neue Informationen hinzu.
Die Kugel war untersucht worden, sie musste von einem Revolver stammen, welcher der Waffe glich, die die Polizei in Hunter’s Lodge mitgenommen hatte. Weiter prüfte man Mr Haverings Angaben nach und stellte fest, dass er tatsächlich in London mit dem besagten Zug angekommen war. Außerdem war etwas Ungewöhnliches geschehen. Ein Mann aus der City, der in Ealing ausgestiegen war, und nach Haven Grenn hinüberfuhr, um auf die District Railway Station zu kommen, hatte ein Paket gefunden, das zwischen den Schienen lag. Als er das braune Papier aufmachte, fand er einen Revolver darin eingewickelt. Er gab das Paket auf der dortigen Polizeistation ab, und in verhältnismäßig kurzer Zeit erwies sich, dass es sich um den gesuchten Revolver handeln musste. Ein Schuss fehlte.
Dies alles fügte ich meinem Bericht an. Am nächsten Morgen, als ich beim Frühstück saß, kam ein Telegramm von Poirot:
»Natürlich war der schwarzbärtige Mann nicht Hav e ring – nur Sie und Japp konnten auf solch eine Idee kommen – telegrafieren Sie mir eine Beschreibung der Haushälterin – wie waren sie und Mrs Havering gekleidet – verschwenden Sie keine Zeit mit Fot o grafieren – Ihre Bilder sind unterbelichtet
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