Poirots erste Fälle
Dunn.
»Endlich!«, rief Poirot. »Holen Sie sie schnell herauf. Sofort. U n verzüglich!«
Unsere Wirtin eilte hinaus und führte ein paar Min u ten später Miss Dunn ins Zimmer. Der Gegenstand unserer heftigen Verfolgung entsprach der Beschre i bung: groß, wohlbeleibt und außerordentlich respekt a bel.
»Ich komme auf Ihre Anzeige hin«, erklärte sie. »Ich glaube, i r gendwo muss ein Durcheinander sein, und Sie wissen vielleicht nicht, dass ich meine Erbschaft bereits angetreten habe.«
Poirot betrachtete sie aufmerksam und schob ihr schwungvoll einen Stuhl hin.
»Ich will Ihnen die Wahrheit sagen«, erklärte er. »Ihre frühere He r rin, Mrs Todd, war sehr in Sorge um Sie. Sie befürchtete, es sei Ihnen ein Unfall zugestoßen.«
Eliza Dunn schien höchst überrascht zu sein.
»Hat sie denn meinen Brief nicht bekommen?«
»Nichts hat sie von Ihnen gehört.« Er wartete einen Augenblick und sagte dann mit sanfter Überredung: »E r zählen Sie mir doch den ga n zen Vorgang, bitte.«
Das brauchte man Eliza Dunn nicht zweimal zu s a gen. Sie stürzte Hals über Kopf in eine weitschweifige Erzä h lung.
»Ich kam gerade zurück am Mittwochabend und war schon fast beim Hause. Da redete mich ein Herr an. Ein großer Mann mit Bart und Schlapphut. ›Miss Eliza Dunn?‹ fragte er. ›Ja‹, sagte ich. ›Ich h a be mich schon bei Nr. 88 nach Ihnen erkundigt‹, fuhr er fort, ›und dort sagte man mir, ich würde Sie hier treffen, wenn Sie nachhause kämen. Miss Dunn, ich komme extra aus Australien, um Sie aufzusuchen. Wissen Sie zufällig den Mädchennamen Ihrer Großmutter?‹ ›Jane E m mott‹, sagte ich. ›Richtig‹, sagte er. ›Nun, Miss Dunn, Sie mögen vielleicht nie davon gehört haben, aber Ihre Großmutter hatte eine gute Freundin, Eliza Leech. Diese Freundin ging nach Austr a lien, wo sie einen sehr wohlhabe n den Farmer heiratete. Ihre beiden Kinder starben sehr jung, und sie erbte den ganzen Besitz ihres Mannes. Vor einigen Monaten ist sie nun auch gestorben, und laut ihrem Testament erben Sie ein Haus in England und eine beträchtliche Geldsumme.‹
Ich war einfach platt!«, fuhr Miss Dunn fort. »Dann wurde ich etwas misstrauisch. Das muss er gemerkt h a ben; denn er lächelte und sagte: ›Ganz richtig von Ihnen, Miss Dunn, dass Sie auf der Hut sind. Aber hier ist mein Beglaubigungsschreiben.‹ Er reichte mir einen Brief von Rechtsanwälten in Melbourne, Hurst 38; Crotchet, und auch eine Karte. Er selbst war Mr Cro t chet. ›Es sind noch einige Bedingungen zu erwähnen. Unsere Klientin war nämlich etwas exzentrisch. Das Ve r mächtnis kann nur angetreten werden, wenn Sie morgen vor zwölf Uhr das Haus in Besitz nehmen – es ist in Cumberland. Die and e re Bedingung ist belanglos. Sie besagt nur, dass Sie nicht in häuslichen Diensten stehen sollen.‹ Ich machte ein langes Gesicht. ›Oh, Mr Cro t chet‹, sagte ich, ›ich bin aber Köchin. Haben sie Ihnen das im Hause nicht g e sagt?‹ ›Ach‹, erwiderte er, ›das hätte ich nicht gedacht. Ich hatte angenommen, Sie seien dort als Gesellschafterin oder Erzieherin b e schäftigt. Das ist sehr bedauerlich wirklich, höchst bedaue r lich.‹
›Muss ich dann all das Geld verlieren?‹, fragte ich ein wenig ängstlich. Er dachte eine Weile nach. ›Es gibt i m mer Wege, das Gesetz zu umgehen, Miss Dunn‹, sagte er schließlich. ›Wir Rechtsanwälte wi s sen das. Auch für Sie gibt es einen Ausweg: Sie müssen einfach Ihre Stelle he u te Nachmittag verlassen.‹ ›Aber meine Kündigung‹, wan d te ich ein. ›Meine liebe Miss Dunn‹, entgegnete er l ä chelnd, ›Sie können Ihren A r beitgeber jederzeit verlassen, wenn Sie auf einen M o natslohn verzichten. Im Hinblick auf die Umstände wird Ihre Herrin schon Verständnis dafür h a ben. Viel schwieriger ist jedoch das Zeitproblem. Sie müssen u n ter allen Umständen den Zug um elf Uhr fünf nach dem Norden nehmen. Ich kann Ihnen etwa zehn Pfund für Reisespesen vorstrecken, und Sie können Ihrer Herrin ein paar Zeilen vom Bah n hof schreiben, die ich ihr persönlich überbringen und dabei alles N ä here auseinandersetzen werde.‹ Ich erklärte mich natürlich einversta n den, und eine Stunde später saß ich im Zug, war aber so verdattert, dass ich nicht wusste, was oben und was unten war. Als ich in Carlisle ankam, kam mir die ganze Sache beinahe wie einer der Ga u nertricks vor, von denen man ja in der Zeitung liest. Aber ich ging zu der Adresse, die er mir angegeben
Weitere Kostenlose Bücher