Poison (German Edition)
seit Langem. Verdammt, ich habe keinen Whisky mehr!!! Und um an die Tankstelle zu laufen, fühle ich mich auch nicht fit genug. Ein Taxi zum Einkaufen schicken? Lieber gesund werden, mich an dieser leckeren Brühe satt essen, eincremen, abspannen und ... hoffen, dass Shahin mich nicht vergisst.
Aber warum diese Hoffnung? War es nicht genügend Beweis dafür, dass er mir nicht widerstehen kann, dass er hier war, dass er auf mich aufgepasst, mich beschützt, behütet hat? Also, ich weiß nicht, ob ich dazu fähig gewesen wäre? Ich meine, wenn Shahin in meiner Situation gewesen wäre. Vielleicht hätte ich mich darum gekümmert, vielleicht hätte ich mich verkrochen, aber höchstwahrscheinlich hätte ich mir nur im Geheimen Vorwürfe gemacht und die Initiative anderen überlassen, da mache ich mir gar nichts vor. Und dazu kommt noch, dass ich wahrscheinlich den Mut gar nicht gehabt hätte, irgendwas zu unternehmen. Ich bin also nicht so stark, wie ich mich immer selbst sehe und vor allem nach außen darstelle.
Wer ist denn Brix Mendelssohn? Der »beste Lover der Stadt«? Klar, ich hatte ja auch genügend Zeit zum Üben. Soviel Zeit und soviel Übung, dass ich den Rest, das Menschliche, voll vergessen habe. Und wäre Shahin nicht in mein Leben getreten, ich hätte dieses Defizit nicht einmal bemerkt. Von »Bereuen« noch gar nicht gesprochen, obwohl ich es bereue. Sehr sogar, denn ich verstehe jetzt auch, warum die ganzen Kerle und Tucken mich so anhimmeln. Sie sehen in mir etwas Starkes, etwas Kraftvolles, das ich aber gar nicht bin. Mit Grübeleien dieser Couleur vergeht der ganze Abend.
Ich gehe viel zu spät ins Bett, kann schlecht einschlafen vor Sehnsucht und bin die Nacht drei- oder viermal wach, quäle mich auf die Toilette, taste aber sicherheitshalber jedes Mal vor dem Aufstehen nach links, ob da nicht vielleicht doch ER liegt, ob er nicht vielleicht doch zurückgekommen ist oder so.
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Brix
Aber natürlich ist er nicht zurückgekommen, und wenn die Tage nicht vergangen wären, könnte man beinahe glauben, ich hätte nur geträumt, wie all die Tage und Träume zuvor. Wobei ich meine Träume eher als furchtbar einschätzen würde, und das Geschehene als wunderbar – aber so ist es nun mal im Leben... je größer das Glück, desto größer das Leid.
Ja, ich leide. Und bis zu einem bestimmten Punkt empfinde ich es sogar als gut. Zu leiden, meine ich. Meinen düsteren Gedanken nachzuhängen, mir Depressionen einzureden und dann mit Whisky nachzuspülen, ist zwar keine Lösung, aber eine sehr angenehme Form der Verarbeitung. Dachte ich zumindest, denn es funktioniert nicht. Ich muss immer wieder an Shahin denken, und jede Fehlfunktion meiner Nerven gaukelt mir eine unerwartete Berührung meiner Haut vor, und jedes Mal nehme ich an, es sei Shahin, der mich kost, berührt. Und jedes Mal verwirrt es mich, denn ich möchte am liebsten reagieren, agieren, mich umdrehen, seinen Anblick genießen, die Spannung steigern lassen ... unsere gemeinsame Spannung, versteht sich ... die Vorfreude, auf das, was kommen wird, voll und ganz auskosten ... und mich wie selbstverständlich zu ihm gesellen, seine Berührungen erwidern, seine Nähe fühlen.
Die bloße Vorstellung daran, wie meine Zunge über seine Haut gleiten würde, löst die Erinnerung an sein leises Zittern aus, lässt meine Erregung wachsen. Meine Sehnsucht nach ihm wird viel zu groß, mein Verlangen unwiderstehlich. Aber ihn jetzt anzurufen, würde bedeuten, dass ich wirklich nach seinen Regeln spielen, mich seinem Wort unterwerfen muss. Meine Kontrolle aufgeben muss. Ihm Macht über mich geben muss. Nennt man das »Hingabe«?
Ich nenn es »Verrat an mir selbst« – zumindest bis letzte Woche. Fragt sich nur, was ich mache, wenn ein anderer, Dritter, plötzlich wichtiger wird, als ich selbst, sprich, wenn es mir egal ist, was mit mir geschieht, wenn es nur diesem anderen gut geht. Dass ich das irgendwie pervers finde, habe ich schon am Rande festgestellt. Argh! Andererseits, wie gesagt, je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass ich für ihn immer eine Ausnahme von meinen Regeln machen würde – oder anders gesagt, er IST die Ausnahme zu meinen Regeln. Nehmen wir zum Beispiel den Sex. Bisher hatte ich meinen Sex, um mich zu befriedigen. Die Regel »Jeden nur ein einziges Mal« hatte damit zu tun, dass ich bisher erfolgreich die Auffassung vertreten habe, dass es einfach langweilig wäre, mit dem gleichen Mann mehr als einmal Sex
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