Poison (German Edition)
entwickelt, fast gar nicht, aber sie verfehlen ihre Wirkung bei mir auch nicht. Ganz, ganz kurz flackert auch bei mir die Aggressivität hoch, aber ich beherrsche mich schnell.
»Okay.« Mehr sage ich nicht, dann ziehe ich mich erst einmal in seine Küche zurück, schenke mir ein Glas »Johnny Walker« ein, den ich hier gebunkert habe, ziehe mich dann wortlos um und gehe joggen. »Soll ich mitkommen?« Shahins Frage klingt beunruhigt.
»Nope.« Ich verlasse das Haus, jogge über die Straße, zum Friedhof, quer über diesen, durch den Park, in den kleinen Wald und weiter über meine »große Strecke«, die mich fast drei Stunden in Atem hält.
Dieses Mal dauert es wesentlich länger, bis ich mich beruhige. Nach einer Stunde erst gelingt es mir, den Kopf freizubekommen, so sehr sind meine Gedanken von dieser Sache belastet. Verdammt, ich zweifele nicht an Shahins Worten, aber was, zum Henker, hat Carlos gegen mich und Shahin?
Mir wird klar, dass ich tatsächlich Angst vor ihm entwickele. Keine wirkliche panische Angst, aber auch nicht mehr nur Respekt. Und ich begreife langsam, dass uns damit die Realität wieder hat. Ich muss dringend mit Shahin reden, stelle ich fest. Also breche ich ab, laufe zu ihm zurück und finde ihn auf seinem Bett liegend, mit sehr nachdenklichem Blick und sorgenvollem Gesicht.
»Mein Lieber, ich muss mit dir reden. Darf ich?« Ich warte sein stummes Nicken ab, setze mich zu ihm auf die Bettkante, fasse ihn an den Schultern.
»Du hast Angst vor ihm«, stellt er lapidar fest.
Ich schlucke, nicke dann. »Okay. Damit kann ich leben. Hast du in Berlin und Umgebung eine einigermaßen realistische Chance auf einen vernünftigen Job?«, fragt er mich, schaut mir dabei in die Augen.
Ich schüttele wortlos den Kopf.
»Lust auf Berlin?«, fragt er weiter.
»Uhm... ich habe hier eine Wohnung ... sonst nichts. Freunde hab ich keine, wie du bemerkt hast.«
Shahin nickt nachdenklich. »Was glaubst du«, fragt er weiter, »wie groß sind seine Chancen, dir auf herkömmlichem Weg Schwierigkeiten zu machen?«
Ich überlege. »Herkömmlicher Weg?«
Shahin nickt, grinst schief. »Ohne Magie, meine ich.«
Meine Augen werden vermutlich riesengroß, und ich starre Shahin fassungslos an. »Magie?«, ist alles, was ich hervorbringe.
Ausgerechnet. Ich wollte diesen ganzen Kram mit Magie und Okkultismus gerade vergessen, und jetzt kommt ausgerechnet ER damit an.
»Vertraust du mir?«, fragt Shahin mich.
»Ja, ich vertraue dir«, antworte ich spontan. »Ich habe mich über Carlos erkundigt«, fährt er fort. »Soweit meine Informationen richtig sind, hängt Carlos in irgendeiner Sekte drin, über die ich noch nichts Genaueres weiß. Es ist kein positiv eingestellter Verein, und sie machen da irgendwas Blutrünstiges, aber ich weiß wie gesagt noch nichts Genaueres. Eins weiß ich aber: Carlos ist nicht der nette Onkel, für den ich ihn immer gehalten habe, sondern verdammt gefährlich.«
Das erklärt natürlich nicht, was Shahin damit zu tun hat, aber zumindest diesen gefährlichen Eindruck, den ich immer von Carlos hatte. Diese widerlichen Augen und die hinterlistigen Blicke. Dieses Unnatürliche, Düstere. Ein Eindruck überschwappt mich, in dem ich vor mir einen Haufen Schleim mit grauen Zottelhaaren daran sehe. Würg.
»Und was hast DU damit zu tun?«, frage ich Shahin, und meine Unsicherheit nimmt wieder zu.
»Ich bin kein Okkultist«, antwortet er mir. »Ich bin kein Marokkaner, wie die meisten in der Szene behaupten. Ich bin ägyptischer Berber, und in der Wüste aufgewachsen, bei einem Nomadenstamm.«
Ich staune, bedeute ihm, weiterzuerzählen, und er hat meine ungeteilte Aufmerksamkeit.
»By the way, ich bin erst mit zwölf nach Deutschland gekommen. Als ich vier war, also in noch relativ früher Kindheit, hatte ich in der Wüste ein Erlebnis, was mich ziemlich geprägt hat. Damals bin ich nachts davon wach geworden, dass Löwen durch unser Lager streiften. Ich habe damals zwölf Löwen gezählt, alle Stammesangehörigen haben geschlafen, auch meine Mutter, sie war nicht zu wecken. Später habe ich meinen Eltern erzählt, dass ich eine Frau gesehen habe, die einen Löwenkopf hatte, aber sie haben es mir nicht geglaubt. Was ich ihnen nicht erzählt habe, ist, dass die Frau mit dem Löwenkopf mich auch gesehen hat. Und dass ich seitdem gewisse Fähigkeiten habe. Die Gedanken und Gefühle mancher Menschen wahrzunehmen, zum Beispiel.«
Ich staune, verziehe nachdenklich das Gesicht. »Mhm,
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