Poison (German Edition)
das würde bedeuten, dass du in mir liest wie in einem Buch, oder wie sehe ich das? Weißt du, ich habe letzte Nacht gemerkt, dass ich auch deine Empfindungen wahrnehme, was mich erschrocken hat, auch wenn ich das Gefühl an sich toll fand.«
»Das kann passieren«, grinst Shahin, »aber nur, wenn du grundsätzlich ebenfalls für Dinge dieser Art empfänglich bist. Abgesehen davon möchte ich dir sagen, dass ich bei dir – was vermutlich daran hängt, dass wir uns sehr nahe stehen – besonders ... na ja, sagen wir ... wahrnehmend bin.« Er kommt ein Stückchen näher, legt mir den Arm um den Hals, zieht mich ein Stückchen zu sich und küsst mich sanft, während ich spüre, dass eine beruhigende Ausstrahlung von ihm ausgeht, die mich umfängt und schützend umgibt.
»Die Geschichte geht aber noch weiter«, merkt Shahin an, als er sich wieder von mir löst. »Was würdest du machen, wenn du auf ein Wesen triffst, das von sich behauptet, ein Gott zu sein?«, fragt er mich.
»Gehen«, antworte ich, und denke dabei mit Beunruhigung an meine Erlebnisse mit »Mutter« bei den »Kindern der Isis« zurück.
»Und was würdest du machen, wenn das aussichtslos ist, und man es dir beweisen möchte?«
Meine Miene verdunkelt sich, fällt mir doch in diesem Moment ein, was »Mutter« über Seth gesagt hat. Dahinsiechen, Krankheiten, und so. Also, die letzte Krankheit war eigentlich ziemlich heftig. Shit! Ob das was mit den »Kindern der Isis« zu tun hat?
Shahin mustert mich genau, stutzt, schaut mir prüfend in die Augen. »Erzähl mir mehr von dieser Sache«, bittet er mich. Bitte? Was hast du da gerade gesagt? Ach so, du kannst ja auch meine Gedanken lesen, ich finde mich innerlich schon fast damit ab. Kein Wunder, warum auch nicht. Wenn »Mutter« oder »Seth« das können, warum dann nicht auch du? Damit fällt allerdings der Besuch des »Allmächtigen Herrschers« völlig ins Reich des Unglaublichen, Unfassbaren, denn offensichtlich können ja mehr Leute Gedanken lesen, dafür braucht man kein Gott zu sein. Aber das möchte ich ausprobieren. Ich denke ganz bewusst an diese Geschichte mit der Zigarette, die plötzlich brannte, und meine Zigarette, die das Gleiche tat, an die Drohungen von »Mutter« und die Forderungen, die mich zur Mitarbeit zwingen sollten. Und Shahin? Shahin schaut mich mit aufgerissenen Augen an.
»Das mit der Zigarette ist ein ganz einfaches Spielchen mit der Energie. Das kann jeder, der diese Tricks kennt«, erklärt er mir mit ruhiger Stimme. »Dieses mysteriöse Auftauchen von Seth macht mir mehr Sorgen. Vom Aufbau der Aktion könnte es sich um eine Invokation gehandelt haben. Es gibt zwar nur sehr wenige Menschen, die den Göttern ihren Leib darbieten, um diesen die Möglichkeit zu geben, auf dieser Welt zu agieren, was sie sonst nicht können. Das halte ich allerdings für sehr unwahrscheinlich, ich denke vielmehr, dass es sich um eine gute Show gehandelt hat, und sonst nichts. Weil Seth nämlich ganz gewiss nicht so dumm ist, sich ausgerechnet mit solchen Leuten abzugeben. Diese Geschichte mit einem »gereinigten Berlin« klingt für mich eher nach dem Versuch einiger intriganter Spinner, die ihren Machthunger nur gestillt kriegen, wenn sie möglichst viele Leute ausnutzen und veralbern können. Ach ja, ich vergaß, sie setzen ihre »Diener« mit Machtbeweisen wie diesen unter Druck und treiben sie in den vermeintlichen Fanatismus.«
Das verstehe ich, und so macht diese ganze Nummer auch einen Sinn. »Wenn es also diese Götter gibt ...«, vermute ich mal ins Blaue, »vorausgesetzt, dass es sie gibt, müssten diese damit doch aber Probleme haben, oder?«
Shahin grinst. »Ja, so macht auch das einen Sinn, was ich erlebt habe.«
Jetzt bin ich daran, die Augen größer zu machen.
»Erzähl«, bitte ich ihn gespannt.
»Ich bin nachts eingeschlafen und in einem unterirdischen Tempel wach geworden. Man hat mich in einen Raum geführt, wo diese Frau mit Löwenkopf auf mich gewartet hat. Ja, genau die Frau, die ich damals bereits gesehen habe. Sie hat sich mir als Sachmedia, Göttin des Krieges und der Heilung vorgestellt und mich gebeten, ihr zu helfen, da die Götter – was der Grund für meine vorherige Annahme ist – auf dieser Welt aus irgendwelchen Gründen nicht selbst agieren wollen oder dürfen, weshalb Menschen ihnen helfen müssen. Um genau zu sein, ging es da wohl um eine Sekte in Berlin. Wenn ich sie richtig verstanden habe, genau um diesen mysteriösen Verein, mit dem du
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